Interview

Interview zum Insel-Konflikt "Immer einig, wenn es gegen Japan geht"

Stand: 18.09.2012 18:33 Uhr

Der chinesisch-japanische Streit um fünf Inseln hat nicht nur eine lange Vorgeschichte. Er nützt auch der chinesischen Führung, um von inneren Problemen abzulenken. Der Asien-Experte Sebastian Heilmann erläutert im Interview mit tagesschau.de, warum die Chinesen sich so einig sind in ihrer Wut auf die Japaner.

tagesschau.de: Warum haben fünf unbewohnte Inseln eine solche Bedeutung für die chinesische Bevölkerung?

Sebastian Heilmann: Die Beziehungen zu Japan sind seit Jahrzehnten aufgeladen. Alles, was mit Japan strittig sein kann, führt zu Spannungen. Zudem bestehen zunehmend wirtschaftliche Interessen in diesem Raum, weil große Rohstoffvorkommen im Bereich der Inseln vermutet werden. Deswegen haben beide Länder die Inselgruppe zu einer jeweils eigenen Wirtschaftszone erklärt, die direkt von ihren Unternehmen ausgebeutet werden kann.

Zur Person

Professor Sebastian Heilmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Bücher zum Forschungsschwerpunkt veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm "Außenpolitik und Außenwirtschaft der VR China".

tagesschau.de: Es handelt sich also um die Wiederkehr eines alten Streits?

Heilmann: Die Region ist seit Jahrzehnten umstritten. Die Inseln waren lange unter japanischer Kontrolle, standen nach dem Zweiten Weltkrieg unter amerikanischer Verwaltung, und als sie dann in den 70er-Jahren an Japan zurückgegeben werden sollten, machten China und Taiwan Ansprüche geltend. Seitdem schwelt dieser Konflikt. Er wird zudem angeheizt durch den Vorwurf der Chinesen, dass Japan sich nie angemessen für seine Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges entschuldigt und die Verantwortung auf sich genommen hat. Das macht die Angelegenheit hoch emotional. Japan hat sich zwar mehrfach entschuldigt. Aber die Chinesen erwarten im Grunde eine Geste wie den Kniefall von Willy Brandt in Warschau - wenn möglich vom japanischen Kaiser selbst. Das ist aber undenkbar.

tagesschau.de: In den vergangenen Monaten haben mehrere spektakuläre Korruptionsfälle die chinesische Öffentlichkeit erschüttert. Kommt der Konflikt um die Inseln der Partei als Ablenkungsmanöver ganz recht?

Heilmann: Auf jeden Fall. Am Anfang waren die Proteste spontan, nach wenigen Tagen wurden sie aber kanalisiert. Dann wurden keine Steine mehr geworfen, und es ging sehr organisiert von statten - offensichtlich mit dem Willen und auch der Hilfe der Partei. Dieser Konflikt bietet der Partei die Möglichkeit, sich als Verteidigerin der Würde Chinas zu zeigen. Wenn es gegen Japan geht, sind sich die meisten Chinesen erstaunlich einig - auch in der Vehemenz, alles zu bekämpfen, was nach einer Provokation Japans aussieht.

tagesschau.de: Dient die Wut auf Japan als Kleister für tiefe Risse im Inneren?

Heilmann: Jedenfalls bietet dieser Konflikt die Gelegenheit, die anti-japanische Karte zu spielen. Man darf das aber nicht nur als Akt der Manipulation begreifen. Ich habe selbst unlängst auf Fachtagungen in China erlebt, welche Emotionen im Spiel sind. Mein Hinweis, dass man den Konflikt friedlich lösen müsse und dass die Mehrheit der japanischen Bevölkerung keineswegs anti-chinesisch eingestellt ist, traf auf eisiges Schweigen.

tagesschau.de: Im Land steht ein Führungswechsel an. Beeinflusst das auch diesen Konflikt?

Heilmann: Ich glaube, dass die Regierungen auf beiden Seiten - sowohl in China als auch in Japan - Unsicherheiten in sich tragen und nicht auf festen Füßen stehen. Das trägt natürlich dazu bei, dass man unsouverän agiert. Dabei gibt es vernünftige Vorschläge, wie man diesen Konflikt lösen könnte. Taiwan etwa hat vorgeschlagen, diese Region gemeinsam zu entwickeln. Das ist ein guter Ansatz - die Region bietet genug Platz und genügend Rohstoffe für alle. Aber das stößt auf keine positive Resonanz. Japan wiederum hat Angst, dass das Land sich im Niedergang befindet - man wird als Gast immer wieder gefragt, ob Japan dabei sei, abzusteigen und China zur Führungsmacht werde. Diese Rivalität zwischen den Großmächten ist in beiden Ländern mit Händen zu greifen. Beide Länder können offenkundig nicht mehr normal miteinander sprechen - nicht einmal, wenn es um den Kulturaustausch geht. Sobald Delegationen aus beiden Ländern in einem Raum sind, herrscht eisige Stimmung.

tagesschau.de: Spielt die Partei damit nicht ein riskantes Spiel? Kann sie den Protest so kontrollieren, dass er nicht außer Kontrolle gerät?

Heilmann: Dieses Risiko besteht. Deswegen versucht die Partei, diese Proteste nach maoistischem Muster als Massenbewegung unter ihrer Führung zu kanalisieren. Das gelingt aber nicht immer. Ich habe schon in den 80er-Jahren Fälle erlebt, wo der Protest außer Kontrolle geriet und in Gewalt umschlug. Und heute ist genug soziale Unzufriedenheit da, um Proteste eskalieren zu lassen. Das weiß die Parteiführung und sie versucht, den Aufruhr zu ihrem Vorteil zu managen. Bislang funktioniert das noch ganz gut.

tagesschau.de: Welchen außenpolitischen Preis zahlt China?

Heilmann: In der gesamten Region wird das Misstrauen gegenüber China immer größer. Es gibt ja Territorialkonflikte auch mit den Philippinen und Vietnam. Da facht der Streit mit Japan natürlich die Vorbehalte an. Es besteht die Gefahr, dass es zu weiteren Reibungen kommt, dass etwa Aktivisten der jeweils anderen Seite auf den Inseln verhaftet werden und das wieder zu zusätzlichen Spannungen führt. Es wird sehr schwer sein, den derzeitigen Konflikt einzugrenzen.

tagesschau.de: Wer könnte in dieser Situation vermitteln?

Heilmann: Da kommen nicht viele in Frage. Bei einer Tagung in Tokio kam die Frage auf, ob nicht Deutschland vermitteln könne. Und in der Tat genießt Deutschland auch in China großes Vertrauen und ist derzeit wohl das einzige Land, als neutraler Vermittler von beiden Seiten akzeptiert werden könnte. Die deutschen Vertreter haben das zunächst reserviert aufgenommen, weil man derzeit mit der Bewältigung der Euro-Krise beschäftigt sei. Aber das Gespräch wird ohne internationalen Vermittler, der keine machtpolitischen Interessen in der Region hat, nicht in Gang kommen. Die USA kommen deshalb nicht in Frage. Deutschland könnte hier eine konstruktive Rolle spielen.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de