Coronavirus in Europa Fast 400 neue Todesfälle in Spanien
Überall in Europa kämpfen die Regierungen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. In Spanien stieg die Zahl der Toten massiv an, im britischen Gesundheitssystem werden italienische Verhältnisse befürchtet.
Im von der Corona-Krise besonders schwer betroffenen Spanien ist die Zahl der Todesfälle rasant angestiegen. Innerhalb von 24 Stunden starben fast 400 weitere Menschen an der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19. Es seien 394 neue Todesfälle registriert worden, teilte die Regierung in Madrid mit. Dies sei ein Anstieg um rund 30 Prozent. Damit liegt die Zahl der Toten in Spanien bereits bei 1720.
Die Zahl der Infizierten lag am Vormittag bei 28.572. Dies waren nach Angaben des Gesundheitsministeriums 3646 mehr Fälle und damit 14,6 Prozent mehr als noch am Samstag. In Spanien gilt seit dem 14. März eine Ausgangssperre. Die 46 Millionen Einwohner dürfen ihr Zuhause nur verlassen, um zur Arbeit zu gelangen, Einkäufe zu erledigen, Medikamente zu besorgen oder mit dem Hund Gassi zu gehen.
Die Region Madrid kündigte an, das Messegelände Ifema am Stadtrand in ein provisorisches Krankenhaus mit 5500 Betten umzufunktionieren.
Sánchez: "Das Schlimmste kommt noch"
Ministerpräsident Pedro Sánchez hatte die Bevölkerung am Samstagabend auf "sehr harte Tage" eingestimmt. "Wir müssen uns psychologisch und emotional darauf vorbereiten", sagte der Regierungschef in einer Fernsehansprache. "Das Schlimmste kommt noch." Das Land stehe vor der größten Herausforderung seit dem Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939.
Medienberichten zufolge will die Regierung den Notstand und die Ausgangssperre um zwei Wochen bis zum 12. April verlängern. Das habe Sánchez den Regionalpräsidenten bei einer Videokonferenz mitgeteilt, berichteten der staatliche Fernsehsender RTVE und die Zeitungen "El País" und "El Mundo" unter Berufung auf Regierungskreise. Eine Verlängerung des sogenannten Alarmzustandes, der dritthöchsten Notstandsstufe, muss allerdings vom Parlament gebilligt werden.
Der derzeit geltende landesweite Notstand mit einer 15-tägigen Ausgangssperre war in Spanien am vorigen Sonntag in Kraft getreten. Bei Zuwiderhandeln drohen Geldbußen oder sogar Haftstrafen. Nach Italien ist Spanien das von der Krise am schwersten betroffene Land Europas.
Italien erhält Hilfe aus Russland
Die italienische Regierung legte angesichts der dramatisch steigenden Totenzahlen die gesamte nicht lebensnotwendige Produktion still. Davon seien die Lebensmittelindustrie und für die Infrastruktur wichtige Betriebe sowie Supermärkte, Banken, Post und Apotheken ausgenommen, sagte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Samstagabend. "Es ist die schwerste Krise für das Land seit dem Zweiten Weltkrieg." Die Maßnahme soll zunächst bis 3. April gelten. Das Land hatte am Samstag an nur einem Tag fast 800 Tote vermeldet.
Medizinische und personelle Hilfe kommt aus Russland: Das russische Verteidigungsministerium will neun Flugzeuge vom Typ Iljuschin Il-76 nach Italien schicken. Insgesamt sollten acht Brigaden mit entsprechender medizinischer Ausrüstung verlegt werden. "Zusätzlich bereit steht eine Gruppe mit rund 100 Menschen, darunter führende Spezialisten des Verteidigungsministeriums auf dem Gebiet der Virologie und Epidemiologie", hieß es in der Mitteilung des Ministeriums.
Auf Bitten Italiens sollen unter anderem Schutzausrüstungen, mobile Versorgungsstationen und Mittel für die großflächige Desinfektion von Verkehrsmitteln und Gebieten helfen. Kremlchef Wladimir Putin hatte Conte bei einem Telefonat am Samstag die Hilfe versprochen.
Johnson warnt vor Überlastung des Gesundheitssystems
Eine ähnliche Situation wie in Italien wird in Großbritannien befürchtet. Premierminister Boris Johnson warnte, eine ungebremste Ausbreitung des Virus in dem Königreich würde das staatliche Gesundheitssystem NHS überfordern. "Wenn wir nicht zusammenarbeiten, wenn wir nicht die heldenhafte und gemeinsame nationale Leistung vollbringen, die Ausbreitung zu verlangsamen - dann ist es nur zu wahrscheinlich, das unser NHS in ähnlicher Weise überfordert wird", sagte Johnson mehreren Sonntagszeitungen zufolge mit Verweis auf die Lage in dem südeuropäischen Land.
"Wir sind nur Wochen - zwei oder drei - hinter Italien", fügte Johnson hinzu. "Die Italiener haben ein hervorragendes Gesundheitssystem. Und trotzdem sind ihre Ärzte und Krankenpfleger komplett mit der Situation überfordert", sagte Johnson weiter. In Großbritannien sind bereits 233 Menschen an dem neuartigen Coronavirus gestorben. Insgesamt wurden im Vereinigten Königreich mehr als 5000 Menschen positiv auf den Erreger Sars-Cov-2 getestet.
Gefährdete Briten sollen zu Hause bleiben
Großbritanniens Staatssekretär für kommunale Angelegenheiten, Robert Jenrick forderte die 1,5 Millionen Risikopatienten im Land auf, sich zunächst drei Monate lang in Quarantäne zu begeben. "Die Menschen sollten zu Hause bleiben, unser staatliches Gesundheitssystem schützen und Leben retten", sagte er. "Besonders gefährdete Menschen" sollten zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um sich selbst abzuschirmen. Die Aufforderung richtet sich unter anderem an Blut- oder Knochenkrebspatienten sowie an Menschen, die unter Stoffwechselerkrankungen leiden. Auch Patienten nach einer Organtransplantation sollen der Anweisung folgen.
Menschen, die zu einer oder mehreren Risikogruppen gehörten, würden von ihren Hausärzten oder Spezialisten kontaktiert und zur zwölfwöchigen Quarantäne aufgefordert, erklärte Jenrick weiter. Es werde eine spezielle Hotline geben sowie Lieferdienste für Lebensmittel und Medikamente. Paul Johnstone, Direktor von Public Health England, erklärte, die Betroffenen sollten weder zum Einkaufen noch auf Reisen gehen und das Haus auch in ihrer Freizeit nicht verlassen.
Frankreich droht Briten mit Grenzschließung
Johnsons Regierung war wegen ihres lange Zeit zögerlichen Umgangs mit der Corona-Krise heftig kritisiert worden. Erst deutlich nach den meisten EU-Ländern hatte sie dazu aufgerufen, auf nicht notwendige Reisen und soziale Kontakte zu verzichten. Freitagabend stellten Restaurants, Cafés, Bars, Clubs, Theater und Freizeiteinrichtungen den Betrieb ein, ab der kommenden Woche bleiben die Schulen geschlossen.
Zudem reichte die Regierung ein Notstandsgesetz ein, das der Polizei, den Gesundheitsbehörden sowie dem Grenzschutz zusätzliche Vollmachten gibt, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Jenrick warnte am Sonntag im Sender Sky TV, dass die Regierung "weitere Maßnahmen" in Betracht ziehen werde, sollte die Öffentlichkeit den Vorgaben nicht folgen.
Einem Bericht der Zeitung "Libération" zufolge droht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Großbritannien mit einer Grenzschließung. Hintergrund sei die Unzufriedenheit damit, dass die britische Seite weniger drastische Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus ergriffen habe. Macron und Johnson hatten am Freitag miteinander telefoniert.