Deutsche Nordafrika-Politik Der Preis der Maghreb-Staaten
Auf seiner dreitägigen Maghreb-Reise wird Innenminister de Maizière eine schwierige Gratwanderung erleben: Deutschland braucht die drei Staaten und muss dafür etwa bei Menschenrechtsverletzungen ein Auge zudrücken.
Die Maghreb-Staaten waren bis vor gar nicht so langer Zeit für Deutschlands Regierungen nicht besonders wichtig. Das hat sich verändert. Und zwar entscheidend. Terrorismus und Migration haben den Blick auf den Maghreb gewandelt.
Beispiel Marokko: Das Königreich ist für Europa ein wichtiger Partner geworden. Erstens, weil es vor allem in Zusammenarbeit mit Spanien eine strikte Kontrolle der Migration betreibt. Zweitens, weil Marokko ein wichtiger Partner bei der Extremismus- und Terrorismus-Bekämpfung ist. Die Sicherheitsdienste des Landes gelten als aufmerksam, gut informiert und effizient.
Dafür erwartet Marokko Gegenleistungen: Stärkeres Engagement bei der wirtschaftlichen Entwicklung und mehr Verständnis der Europäer in der West-Sahara-Frage. Marokko hatte die West-Sahara vor Jahrzehnten annektiert und betrachtet das riesige Gebiet als Teil des Landes. International ist der Status der West-Sahara aber weiterhin umstritten.
Marokko: Keine öffentlichen Nörgeleien aus Deutschland
Regierung und Königshaus sehen sehr klar, dass sich da eine Chance bietet. Europa braucht seine Hilfe in Sachen Migration und Extremismus-Bekämpfung. Marokko will etwas dafür: Nämlich, dass seine Interessen stärker beachtet werden und nicht dauernd öffentlich über Menschenrechtsfragen genörgelt wird.
Sollte Marokko von Deutschland als "sicheres Herkunftsland" eingestuft werden, dann wäre das ganz im Sinne der Regierenden. Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen lassen sich dann unter anderem mit dem Argument beantworten: Moment mal, die Deutschen betrachten uns aber als sicheres Herkunftsland. Also als einen Staat, in dem es im Allgemeinen keine Verfolgung sowie keine unmenschliche und erniedrigende Bestrafung oder Behandlung gibt. Genau das fürchten Menschenrechtsorganisationen, deren Arbeit in Marokko ohnehin nicht leicht ist.
Tunesiens delikate Situation
Beispiel Tunesien: Tunesien ist seit seiner Revolution ein Hoffnungsträger in der Region. Das Land, das im Vergleich zu Staaten wie Libyen oder Marokko einen Mittelweg zwischen politischem Chaos und Autokratie sucht.
Nur: Die Situation in Tunesien ist delikat: Die Revolution hat zwar mehr Meinungsfreiheit gebracht, die wirtschaftliche Lage vieler Menschen ist aber schlechter geworden. Vor allem junge Menschen finden keine Arbeit und keine Perspektive. Tunesien möchte deshalb mehr Engagement aus Deutschland und Europa, um dieses Problem anzugehen. Und auch mehr Schutz gegen die Terrorismus-Bedrohung aus dem Nachbarland Libyen. Deutschland und Europa wollen weniger Einwanderung und mehr Sicherheits-Kooperation.
Algerien und das Öl-Problem
Und das Beispiel Algerien? Über Algerien sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Weltlage und der Kampf gegen den Terrorismus Deutschland und Algerien zueinander geführt habe.
Das ist sehr deutlich: Deutschland braucht die Sicherheits-Zusammenarbeit, Algerien braucht künftig mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Absturz der Rohöl-Preise bereitet dem Land enorme Schwierigkeiten, das könnte noch mehr junge Menschen aus dem Land treiben.
Menschenrechtsfragen rücken in den Hintergrund
Algerien, Marokko und Tunesien haben eines gemeinsam: Sie können vor allem vielen jungen Menschen wirtschaftlich keine aussichtsreiche Perspektive bieten. Auch deshalb hat die Rückkehr vieler Migranten aus Deutschland für sie keine Priorität. Was tun mit den jungen Leuten, die dann zurückkehren? So lautet ihre ganz schlichte Frage.
Deutschland setzt darauf, dass eventuell Entwicklungszusammenarbeit und Direktinvestitionen helfen können, diese Haltung zu ändern. Ob das funktioniert, ist ungewiss. Eins ist aber offensichtlich: Menschenrechtsfragen rücken angesichts dieser Interessenlagen in den Hintergrund. Das ist klar. Und es ist bitter.