Proteste in Belarus Mehr als 250 Festnahmen in Minsk
Zuletzt hatte sich die Polizei bei den Protesten in Minsk zurückgehalten - doch nun greift sie wieder hart durch und droht offen mit Gewalt. Mehr als 250 Demonstranten und Journalisten wurden festgenommen und abtransportiert.
Die Sonderpolizei OMON hat in Minsk Proteste gegen den umstrittenen Staatschef Alexander Lukaschenko aufgelöst und zahlreiche Menschen festgesetzt. Auch viele Journalisten kamen vorübergehend in Gewahrsam. Die belarussische Menschenrechtsorganisation Wesna in Minsk sprach von mehr als 250 Festnahmen. Vor allem Männer wurden festgenommen und in Gefangenentransportern weggefahren.
Die OMON-Kräfte hatten gestern Abend den Unabhängigkeitsplatz umstellt. In Lautsprecherdurchsagen warnten sie vor der nicht genehmigten Demonstration und drohten Teilnehmern der Kundgebung mit Gewalt. Auf dem zentralen Platz in Minsk protestierten derweil Hunderte Menschen trotz des Demonstrationsverbots friedlich. Sie riefen "Freiheit!" und "Hau ab!".
In Minsk stehen sich Demonstranten und Polizisten gegenüber. Später griffen die Sicherheitskräfte hart durch.
Journalisten zur Polizeistation gebracht
Nach Angaben des belarussischen Journalistenverbandes kamen auch etwa 50 Journalisten vorübergehend in Polizeigewahrsam. Die meisten seien nach einer Überprüfung ihrer Dokumente wieder freigekommen, teilte der Verband mit. Unter ihnen seien auch ausländische Reporter gewesen, darunter eine Korrespondentin der Deutschen Welle.
Das Innenministerium bestritt, dass die Journalisten festgenommen worden seien. Diese seien lediglich zur Polizeiwache gebracht worden, um zu prüfen, ob eine gültige Presse-Akkreditierung vorliege. Alle Reporter, die eine offizielle Akkreditierung hätten, sollten freigelassen werden. Dem Journalistenverband zufolge waren am Freitagmorgen noch vier Medienleute in Polizeigewahrsam.
Als eine führende Persönlichkeit der Demokratiebewegung wurde Maria Kolesnikowa bei den Ermittlern vorgeladen. Die 38-Jährige sitzt im Präsidium des Koordinierungsrates der Zivilgesellschaft für einen friedlichen Machtwechsel. Lukaschenko hat angekündigt, das Gremium zu zerstören. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Zwei Mitglieder sind bereits zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt worden.
Sondersitzung der OSZE
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) befasst sich heute in einer Sondersitzung mit der Krise in Belarus. Die Besprechung in Wien wird vom derzeitigen OSZE-Vorsitzenden Edi Rama, dem Ministerpräsidenten Albaniens, geleitet.
Bereits vergangene Woche hatte die OSZE angeboten, zwischen der belarussischen Regierung und der Protestbewegung zu vermitteln.
Polizisten hielten Demonstranten in Kirche fest
Die Wut der Menschen in Minsk war offensichtlich, nachdem am Vorabend in der katholischen Kirche auf dem Unabhängigkeitsplatz 40 Minuten lang Menschen von der Sonderpolizei festgehalten worden waren.
Aus Protest gegen die Willkür hatte die Demokratiebewegung in Belarus Gläubige aller Religionsgemeinschaften zur Kundgebung gegen den Polizeistaat aufgerufen. Hunderte Menschen waren dem gefolgt. Sie sprachen laut Friedensgebete, als die Sicherheitskräfte einschritten.
Russland will notfalls Einsatzkräfte schicken
Kremlchef Putin hatte am Donnerstag erklärt, dass Russland bereit sei, seinem Nachbarn bei einer weiteren Zuspitzung der Lage mit Einsatzkräften zu helfen. Es sei eine eigene Reserve für den Fall eines Eingreifens gebildet worden, sagte dem Fernsehsender Rossija 1. Dies sei auf Bitten von Präsident Alexander Lukaschenko erfolgt. "Ich hoffe aber, dass es nicht soweit kommen wird."
Lukaschenko warf dem Westen indes einen "hybriden Krieg" gegen sein Land vor. So wird in der Regel eine Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, Computerangriffen und Propaganda bezeichnet. Lukaschenko hat dem Ausland schon mehrfach vorgeworfen, hinter den Massenprotesten gegen ihn zu stecken. Beweise legte er aber nicht vor.
Seit der umstrittenen Präsidentenwahl vom 9. August gibt es Proteste und Streiks in den Staatsbetrieben gegen Lukaschenko, den seine Gegner als letzten Diktator Europas bezeichnen. Er ist seit 26 Jahren an der Macht. Die Opposition erkennt den Sieg von Lukaschenko nicht an und wirft ihm Wahlbetrug vor.