Hintergrund

Seit Februar im Gefängnis Der Fall Deniz Yücel - eine Chronologie

Stand: 23.06.2017 15:12 Uhr

Seit Mitte Februar ist der "Welt"-Journalist Deniz Yücel in der Türkei im Gefängnis. Ohne Anklage sitzt er in Einzelhaft. In der Türkei wird ihm Terrorunterstützung vorgeworfen, die Bundesregierung hofft auf eine Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs.

Von Eine Chronologie von Danny M. Marcalo für tagesschau.de

Die Strafvollzugsanstalten Silivri, 70 Kilometer westlich von Istanbul, haben Platz für 10.000 Gefangene. Einer von ihnen ist der "Welt"-Journalist Deniz Yücel, der in Hessen geboren wurde und deutscher Staatsbürger ist. Er besitzt auch einen türkischen Pass. Am 14. Februar 2017 stellt er sich den türkischen Behörden für eine Befragung. Yücel wird in Polizeigewahrsam genommen, später dann in Untersuchungshaft. Bis heute liegt keine Anklageschrift gegen den 43-jährigen vor.

In Deutschland haben sich Journalisten, Politiker und Künstler mit ihm solidarisiert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan betont jedoch, dass es keine Freilassung Yücels geben werde, solange er Präsident sei.

Kritische Berichte über Erdogans Schwiegersohn sind der Anfang

Rückblick: Der Fall Yücel beginnt im Herbst 2016. Die Hackergruppe "Redhack" veröffentlicht E-Mails, die den türkischen Energieminister Berat Albayrak belasten. Aus ihnen soll hervorgehen, dass Albayrak der heimliche Chef einer Firma sei, die an der irakischen Regierung vorbei Ölgeschäfte mit den autonomen Kurden im Nordirak macht. Albayrak ist der Schwiegersohn von Präsident Erdogan.

Als Türkei-Korrespondent der Zeitung "Die Welt" berichtet Yücel am 8. Oktober 2016 über die Leaks.

Haftbefehl wegen Terrorpropaganda

Am 25. Dezember 2016 soll ein türkischer Staatsanwalt Haftbefehl gegen neun Verdächtige angeordnet haben, zu ihnen gehört laut der AKP-nahen türkischen Zeitung "Sabah" auch Yücel. Ihm werden Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda vorgeworfen. Grundlage ist seine Berichterstattung über die Albayrak-Leaks.

Am 14. Februar 2017 folgt er in Istanbul freiwillig der Aufforderung der türkischen Behörden, sich einer Befragung zu stellen. Seit dem Putschversuch vom Sommer 2016 gilt in der Türkei der Ausnahmezustand. Deswegen darf Yücel bis zu 14 Tage ohne richterliche Anhörung von der Polizei festgehalten werden. In einem Statement von "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt heißt es:

Unser Korrespondent Deniz Yücel leistet exzellente Arbeit. Die türkische Regierung weist immer wieder darauf hin, dass die Türkei ein Rechtsstaat ist. Darum vertrauen wir darauf, dass ein faires Verfahren seine Unschuld ergeben wird.

Nach zwei Wochen wird Untersuchungshaft angeordnet

13 Tage nach seiner Festnahme ordnet ein Richter Untersuchungshaft für Yücel an. Jetzt lautet der Vorwurf Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung. Der Vorwurf der Propaganda bezieht sich nun auf ein Interview, das Yücel 2015 mit einem PKK-Kommandanten geführt hat.

Welle der Empörung in Deutschland

In Deutschland lösen Untersuchungshaft und Haftbefehl einen Sturm der Entrüstung aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert das Vorgehen der türkischen Justiz als "bitter, unverhältnismäßig und hart".

300 Künstler, Prominente und Journalisten schalten eine Anzeige, in der sie die sofortige Freilassung Yücels fordern. Der Hashtag #freedeniz erreicht tausende Twitternutzer.

Ein Schild mit der Aufschrift #FreeDeniz

In Deutschland solidarisieren sich tausende mit Deniz Yücel, der seit Februar 2017 in einem türkischen Gefängnis sitzt.

Die türkischen Behörden geben sich unbeeindruckt. Deutschen Diplomaten verweigern sie den Besuch bei Yücel. Im Wahlkampf für das Referendum über die Einführung eines neuen Präsidialsystems bleibt Präsident Erdogan hart. Er bezeichnet den deutschen Journalisten als "terroristischen Agenten" und Vertreter der kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Erst nach schwierigen Verhandlungen darf am 4. April 2017, nach sieben Wochen Haft, der deutsche Generalkonsul Georg Birgelen zu Yücel.

Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Die Anwälte von Yücel legen Ende März Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Dieser will den Fall bevorzugt behandeln - bisher ohne Ergebnis. Besonders kritisiert wird, dass Yücel in Isolationshaft sitzt.

Auch deswegen reißt die Kritik aus Deutschland an der Inhaftierung Yücels nicht ab. Am 21. Mai lesen Prominente in Frankfurt am Main Texte des Journalisten über die Türkei. Mit dabei sind beispielsweise Carolin Emcke und Jan Böhmermann.

"Tageslicht! Frische Luft! Richtiges Essen!"

Wenige Tage nach der Lesung veröffentlicht "Die Welt" einen Text, den Yücel seinen Anwälten in der Haft diktiert hat, Er schildert seine Haftbedingungen. Seit 100 Tagen ist Yücel eingesperrt, 87 davon in der Isolation. Im Vergleich zu den beiden Wochen in Polizeigewahrsam sei die Untersuchungshaft eine deutliche Verbesserung:

Tageslicht! Frische Luft! Richtiges Essen! Tee und Nescafé! Rauchen! Zeitungen! Ein echtes Bett! Eine Toilette für mich alleine, die ich aufsuchen kann, wann ich will.

Kein Ende in Sicht

Am 8. Juni 2017 sitzt Deniz Yücel seit 100 Tagen in Isolationshaft. Er meldet sich in einem Brief, den er seinen Anwälten diktiert hat. Darin beschreibt er, wie er nur eine Stunde in der Woche Besuch von seiner Familie empfangen darf, getrennt durch eine Glasscheibe, mit einem Telefonhörer in der Hand.

Währenddessen reißen die diplomatischen Bemühungen um eine Freilassung Yücels nicht ab. Am 13. Juni darf der deutsche Botschafter in Istanbul, Martin Erdmann, den Journalisten erstmals in Silivri besuchen. Dennoch ist es fraglich, ob und wann Yücel wieder freikommt. Eine Anklageschrift gegen ihn gibt es weiterhin nicht.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind angespannt wie selten. Der Fall Yücel ist zu einem Politikum geworden, das bei vielen deutsch-türkischen Streitthemen eine Rolle spielt - in der Debatte über das Referendum in der Türkei, im Streit um den Bundeswehrstützpunkt Incirlik oder in der Diskussion um die Visafreiheit für Türken in Deutschland