EU-Gelder für die Türkei Drei Milliarden sind erst der Anfang
Mit drei Milliarden Euro will die EU die Türkei in der Flüchtlingskrise unterstützen. Noch ist das Geld nicht geflossen, doch schon wird geraunt, Ankara wolle weitere Milliarden. Ein EU-Bericht über die bisherigen Anstrengungen zeigt: Beide Seiten könnten mehr tun.
Von Oliver Mayer-Rüth, ARD-Studio Istanbul
Dass drei Milliarden Euro erst der Anfang sein dürften, war absehbar. Insgesamt zählt die Türkei derzeit 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge, darunter 1,2 Millionen Minderjährige, so ein vom Brüsseler EU-Verbindungsbüro für den Bundestag angefertigter Bericht, der dem ARD-Studio Istanbul vorliegt. Allein zwischen Oktober 2015 und Mitte Januar 2016 sei in der Türkei die Zahl neu registrierter Flüchtlinge um 300.000 gestiegen, heißt es in dem Papier unter Berufung auf die EU-Kommission.
Die bisherigen Kosten für die Versorgung syrischer Flüchtlinge beziffert die türkische Regierung mit 7,5 Milliarden Dollar. Der Aufschrei in Brüssel über die angebliche Forderung Ankaras nach zusätzlichen zwei Milliarden Euro dürfte sich folglich in Grenzen halten.
Angemessen zahlen
Zwar bestätigen weder Brüssel, noch Berlin die von der Tageszeitung "Die Welt" publizierte Zahl, doch dass die Erdogan-Regierung nach erfolgreicher Umsetzung der mit der EU vereinbarten Maßnahmen auch offiziell weitere finanzielle Unterstützung einfordern wird, daran gibt es kaum Zweifel. Europa wolle keine Flüchtlinge, dann müsse es die Türkei anständig dafür bezahlen, dass sie die Flüchtlinge hier behalte, hört man ständig auf den Straßen rund um den Taksim-Platz im Zentrum Istanbuls.
Wenn die EU und Berlin verhindern wollen, dass weiterhin täglich circa 2250 Flüchtlinge und Migranten von der Türkei nach Griechenland weiterreisen, müssen sie sich auf kontinuierliche Überweisungen nach Ankara einstellen. Die Bereitschaft der Erdogan-Regierung, Syrer, Afghanen, Iraker und zunehmend auch Nordafrikaner an einer Weiterreise nach Europa zu hindern, hält sich in Grenzen. Denn jeder Flüchtling, der die Türkei verlässt, ist finanziell gesehen ein Problem weniger. Folglich hält man die Migranten nur auf, wenn man dafür kompensiert wird.
Die Türkei ist weiter
Doch wie steht es um die Umsetzung der zwischen Brüssel und Ankara vereinbarten Maßnahmen? Der Bericht aus Brüssel stellt fest, dass die Türkei zumindest begonnen habe, den am 29. November bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs vereinbarten Aktionsplan umzusetzen. Dagegen seien die EU-Mitgliedstaaten den an sie gerichteten Anforderungen bisher nicht nachgekommen.
So hat Ankara am 12. Januar einen Erlass herausgegeben, der den türkischen Arbeitsmarkt für syrische Flüchtlinge öffnet. Darüber hinaus wurde eine Visumspflicht für syrische Flüchtlinge eingeführt, die auf dem Luft- oder Seeweg aus Ländern wie Jordanien oder dem Libanon in die Türkei einreisen wollen. Die Zahl derjenigen, die auf diesem Wege einreisen, ging daraufhin von 41.000 in der Woche vor der Einführungs der Visumspflicht auf 1200 in der Woche danach zurück.
Negativ bewerteten EU-Institutionen dem Bericht nach die Bemühungen Ankaras, eine Visumspflicht für Migranten aus Ländern wie Afghanistan, Bangladesh, Pakistan - und Marokko einzuführen. Das aber ist ein Wunsch, den auch die Bundesregierung wiederholt an die Türkei gerichtet hat - im Falle von Marokko insbesondere nach der Silvesternacht in Köln. Doch tatsächlich dürfte in der Bundesregierung die Hoffnung, dass Ankara ein gut befreundetes Land wie Marokko mit einer Visumspflicht vor den Kopf stößt, nicht allzu groß sein.
Etliche Versäumnisse
Bei der Bekämpfung der Schleuserkriminalität erziele die Türkei bisher "nur begrenzt Fortschritte", so der Bericht. Reformen zur Verstärkung des Grenzschutzes und der Seenotrettung befänden sich noch immer "im Entwurfsstadium". Im Verzug sei die Türkei auch bei Änderungen des Datenschutzgesetzes, um die Zusammenarbeit mit EU-Staaten in der Flüchtlingskrise zu vereinfachen.
Insgesamt ist das Fazit des Berichts eher nüchtern. So stellen die Verfasser fest, dass sich zurzeit nicht vorhersagen lasse, welche Auswirkungen die von der Türkei eingeführten Maßnahmen auf die Flüchtlingsbewegung letztlich haben. Im Übrigen schätzten einige Mitgliedstaaten die bisherigen Maßnahmen eher kritisch ein, während sich die EU-Kommission verhalten optimistisch zeige.
Schnell überweisen, trotz einiger Zweifel
Trotzdem wollen die Mitgliedstaaten nun schnell die drei Milliarden Euro überweisen. Der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu hatte bereits auf dem Sondergipfel Ende November versprochen, dass das Geld allein den syrischen Flüchtlingen zugute kommt.
Doch daran gibt es offenbar Zweifel, denn die EU will die Gelder gestückelt und zweckgebunden überweisen. Darüber gibt es offenbar einen Disput zwischen Ankara und Brüssel. Die türkische Regierung will selbst und unabhängig bestimmen, wie und wo sie die Mittel einsetzt. Das sieht die EU skeptisch, wohl auch, weil es in der Vergangenheit Korruptionsvorwürfe gegen Personen aus dem Umfeld der Regierungspartei AKP gab.