Flucht nach Europa Wie sollen die Menschen verteilt werden?
Die EU hat ein Problem: Wie soll sie Hunderttausende Flüchtlinge verteilen - vor allem, wenn einige Staaten nicht mitspielen? Deutschland und Frankreich haben einen Kompromissvorschlag vorgelegt: Sie wollen ein Drei-Stufen-Modell.
Rund 180.000 Flüchtlinge sind im vergangenen Jahr über das Mittelmeer nach Italien gekommen, so viele wie noch nie. Die meisten von ihnen wurden in Libyen von Menschenschmugglern in seeuntüchtige Schiffen oder Schlauchboote gesetzt. Im Frühling, wenn das Wetter besser ist, werden sich wohl erneut Tausende auf den Weg machen, so die Befürchtung vieler Experten.
Höchste Zeit also, dass die EU ihr System zur Verteilung von so vielen Asylbewerbern überarbeitet. Denn das bisherige Verfahren scheitert bisher am Widerstand mehrerer EU-Mitgliedsstaaten, die gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Deutschland und Frankreich haben nun einen Kompromissvorschlag gemacht.
Problem der Verteilung
Das wohl komplizierteste EU-Projekt in der aktuellen Flüchtlingskrise kann Bundesinnenminister Thomas de Maizière in ziemlich knappen Worten zusammenfassen: "Die Vereinheitlichung des gesamten europäischen Asylsystems."
Und das soll schon in den kommenden sechs Monaten geschehen, so das selbstgesteckte Ziel der EU: Wenn Malta im Sommer den Vorsitz im Europäischen Rat an Estland übergibt, soll das sogenannte "Dublin"-System zur Verteilung von Asylbewerbern in der EU grundsätzlich reformiert sein.
Die Flüchtlingsfrage wurde 1990 im Dubliner Übereinkommen geregelt und 2003 durch die Dublin-Verordnung abgelöst. Seit 2013 gilt die Dublin-III-Verordnung. Sie regelt, welcher Staat für die Bearbeitung eines Asylantrags innerhalb der EU zuständig ist. Damit soll sichergestellt werden, dass ein Antrag innerhalb der EU nur einmal geprüft wird. Ein Flüchtling muss dort Asyl beantragen, wo er den EU-Raum erstmals betreten hat. Das geschieht häufig an den Außengrenzen. Ziel der Initiative war es ursprünglich, die Asylverfahren zu beschleunigen und gleichzeitig klarzustellen, welcher Mitgliedstaat verantwortlich ist.
Denn das funktioniert aus Sicht de Maizières nur, wenn wenige Flüchtlinge kommen - was derzeit bekanntlich nicht der Fall ist. "Deswegen ist jeder Versuch, Dublin bei großen Zahlen zu reinstallieren zum Scheitern verurteilt."
"Es könnten mehr Flüchtlinge kommen"
Maltas Regierungschef Joseph Muscat, dessen Land genau auf der Mittelmeerfluchtroute liegt, hatte Anfang Januar bereits eindrücklich im EU-Parlament gewarnt: "In den kommenden Monaten wird die Zahl der Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa kommen, deutlich ansteigen. Es könnten sogar mehr werden als im vergangenen Jahr." Mehr also als 180.000, so viele waren es laut der europäischen Grenzschutzagentur Frontex.
Quote oder "flexible Solidarität"?
Ginge es nach der EU-Kommission, würden die Migranten auf Grundlage einer verpflichtenden Quote in der EU verteilt werden, je nach Wohlstand und der Einwohnerzahl der Länder. Regierungen, die sich verweigern, müssten zahlen: 250.000 Euro pro nicht aufgenommenem Flüchtling.
Vor allem die osteuropäischen EU-Staaten lehnen das ab, Ungarn und die Slowakei klagen sogar dagegen. Auch Polen stellt sich quer. Ihr Gegenvorschlag: die, wie sie es nennen, "flexible Solidarität" - mit der Option, niemanden aufnehmen zu müssen.
de Maizières Stufenmodell
Die Debatte ist festgefahren, seit Monaten. Nun legte Bundesinnenminister de Maiziere zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Roux einen Kompromissvorschlag auf den Tisch: Ein Drei-Stufen-Modell.
Stufe eins würde gelten, wenn nur wenige Flüchtlinge nach Europa kommen. Dann würden die alten Dublin-Regeln wieder greifen und die Erstaufnahmeländer wie Italien und Griechenland wären für die Asylbewerber allein zuständig.
Stufe zwei: Es kommen zu viele Flüchtlinge, die Erstaufnahmeländer sind überlastet. Dann müsse ein Verteilungssystem in Kraft treten, so de Maiziere. "Ein System, in dem wir die Erstaufnahmeländer entlasten, das aber genügend Flexibilität lässt, um auf die jeweiligen Länder Rücksicht zu nehmen." Das würde zum Beispiel gehen, indem Länder nicht sofort sondern erst später, zu einem für sie besseren Zeitpunkt, Flüchtlinge aufnehmen, sie könnten stattdessen Polizisten für den Schutz der EU-Außengrenze abstellen oder sich finanziell an der Versorgung der Menschen beteiligen.
Stufe drei in de Maizières Modell wäre der Extremfall: Es kommen viel zu viele Flüchtlinge, die Erstaufnahmelager drohen zu kollabieren. "Das kann dann auch heißen: Andere Standards, andere Verfahren und Rückführung an sichere Orte außerhalb Europas."
Flüchtlingslager vor EU-Außengrenzen
Heißt im Klartext: Die EU müsste Flüchtlingslager jenseits ihrer Außengrenze errichten, wo dann Asylverfahren durchgeführt würden. Nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens. Viele Details sind noch offen. Das betrifft unter anderem auch die Frage, was ein EU-Land genau leisten müsste, um keinen Flüchtling aufzunehmen. Eine moralisch und politisch schwierige Rechnung. Frankreichs Innenminister Bruno Le Roux macht jedoch klar: Im Krisenfall müssten alle EU-Länder mitmachen, Solidarität sei dann Pflicht.