EU-Postenpoker Webers Chancen schwinden
"Ich nehme mit Vergnügen zur Kenntnis, dass es sehr schwierig ist, mich zu ersetzen": Noch-Kommissionschef Juncker nimmt den ergebnislosen EU-Gipfel mit Humor. EVP-Spitzenkandidat Weber dürfte die Situation weniger witzig finden.
Die 28 EU-Regierungen haben sich in der Nacht nicht auf ein Personalpaket für die Spitzenposten der Europäischen Union einigen können. Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Donald Tusk räumten ein, dass sich die verschiedenen Parteienfamilien im Rat und im EU-Parlament gegenseitig blockierten. Tusk machte deutlich, dass Liberale und Sozialdemokraten den EVP-Kandidaten Manfred Weber nicht wählen wollten. Die konservative Parteienfamilie EVP lehnt dagegen die Kandidaten Margrethe Vestager (Liberale) und Frans Timmermans (Sozialdemokraten) ab.
Brüsseler Blockade: Die Staats- und Regierungschefs finden im EU-Postenpoker keine Einigung.
Wiedersehen am 30. Juni
Noch-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kommentierte die Brüsseler Blockade mit Humor: "Ich nehme mit viel Vergnügen zur Kenntnis, dass es sehr schwierig ist, mich zu ersetzen", scherzte er. Juncker gab sich jedoch überzeugt, dass der laufende Prozess der Spitzenkandidaten nicht am Ende sei. Und Tusk ergänzte: "Wir sehen uns am 30. Juni wieder." Das ist der Termin für einen Sondergipfel, hier soll nun eine Einigung gefunden werden - rechtzeitig vor der ersten Sitzung des neuen Europäischen Parlaments am 2. Juli.
Für den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber sind nach dem ergebnislosen Gipfel die Chancen nicht gerade gewachsen, doch noch Kommissionschef zu werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sah bereits alle Spitzenkandidaten der großen Parteien einschließlich Weber aus dem Rennen. "Die Namen der drei Spitzenkandidaten wurden verworfen", sagte Macron, dessen Partei der liberalen Fraktion im EU-Parlament angehört. Der Prozess der Besetzung der Top-Jobs sei "blockiert". Der konservative EU-Ratspräsident Tusk wollte Weber dagegen nicht ausdrücklich ausschließen. Es sei "zu früh, Namen zu beurteilen". Macron, der stets gegen Weber war, machte aber deutlich, dass er neue Namen will.
Neben dem Konservativen Weber hatten sich der niederländische Sozialdemokrat Timmermans und die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Vestager von den Liberalen Hoffnungen auf den Posten des Kommissionschefs gemacht.
Macron will Weber nicht
CSU-Vize Weber erhebt Anspruch auf die Juncker-Nachfolge, da seine Europäische Volkspartei (EVP) bei der Europawahl erneut stärkste Kraft geworden ist. Der Rat der Staats- und Regierungschefs hat das Nominierungsrecht, doch das EU-Parlament muss den Kommissionschef wählen. In beiden Gremien sind also Mehrheiten nötig. Merkel unterstützt offiziell Weber. Macron und andere Regierungschefs stellen sich mit der Begründung gegen den CSU-Politiker, die EU brauche eine Führungspersönlichkeit mit mehr Erfahrung. Weber ist seit fünf Jahren EVP-Fraktionschef im Europaparlament, hat aber keine Regierungserfahrung.
Macron ist gegen Weber.
Für zusätzliche Verstimmung hatte am Donnerstagmorgen die Ankündigung der Sozialdemokraten und Liberalen im Parlament gesorgt, Weber nicht mitwählen zu wollen. Danach habe die EVP ausgeschlossen, ihrerseits für Vestager oder Timmermans zu stimmen. Folge: Es gibt keine Mehrheit für niemanden.
Merkel spricht von "Herausforderungen"
Der Befund fehlender Mehrheiten für irgendeinen Kandidaten stelle die EU "natürlich vor Herausforderungen", fasste Merkel die Gemengelage nüchtern zusammen. Sie mahnte eine Einigung bis zum Sondergipfel 2. Juli an. "Wir wollen auf gar keinen Fall eine Krise mit dem Parlament." Sie könne aber erst am Ende des Prozesses sagen, ob Weber und das Spitzenkandidaten-Prinzip noch eine Chance hätten. Man stehe bei diesem Prinzip "auf halbem Wege".
Das Spitzenkandidaten-Prinzip bedeutet: Nur einer der von Parteien im EU-Parlament offiziell benannten Spitzenkandidaten zur Europawahl kann Präsident der Europäischen Kommission werden.
Ein EU-Diplomat sagte, Weber habe nach diesem Gipfel keine Chancen mehr auf den Posten des Kommissionspräsidenten. Das Parlament sei zerstrittener als zuvor. Auch die EVP-Regierungschefs setzten sich von Weber ab, sagte er. Aber wenn die Deutschen keinen Spitzenposten bekämen, würden auch die Franzosen keinen erhalten.
Papstwahl geht schneller als EU-Postenvergabe
Im EU-Postenpoker geht es nicht nur um die Nachfolge von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, sondern noch um vier weitere Spitzenpositionen: die Präsidenten des Europäischen Rats, des Europaparlaments, der Europäischen Zentralbank und den Posten der EU-Außenbeauftragten. Der EU-Rat sei sich einig, dass es bei der Postenvergabe "ein Paket" geben müsse, das die Vielfältigkeit der EU widerspiegele, sagte Tusk. Wie schwer das sein wird, wussten viele schon vorher. Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar formulierte es so: "Oftmals ist es schneller, den Papst zu wählen, als diese besonderen Positionen zu besetzen."