EU-Gipfel Merkel kritisiert Tusks Flüchtlingspläne
Ratspräsident Tusk glaubt, dass die Flüchtlingsquoten unwirksam sind und die EU spalten. Dafür ist er gleich zu Beginn des EU-Gipfels von Kanzlerin Merkel und anderen Regierungschefs scharf kritisiert worden. Der neue Streit gefährdet den Ablauf des Gipfels.
Der EU-Gipfel in Brüssel hat mit einem neuen Streit um die Flüchtlingspolitik begonnen. Dabei kritisierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere Regierungschefs den Leiter des Treffens, Ratspräsident Donald Tusk. Es geht um das weiterhin ungelöste Problem, ob die Union einzelnen Mitgliedstaaten verbindlich auferlegen kann, eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen.
Merkel sagte bei ihrer Ankunft, "dass die Beratungsgrundlagen, die wir von unserem Ratspräsidenten bekommen haben, heute noch nicht ausreichen". Die EU benötigte nicht nur Solidarität bei der Migrationspolitik an den Außengrenzen, sondern auch im Inneren, erklärte Merkel. "Denn so eine selektive Solidarität kann es nach meiner Auffassung unter europäischen Mitgliedstaaten nicht geben."
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat den neuen Streit der Mitgliedstaaten in der Flüchtlingspolitik mit seinem Papier ausgelöst.
Tusk-Papier hatte Streit ausgelöst
Tusk hatte für die Beratungen des Gipfels ein Papier zur Flüchtlingspolitik angefertigt. Darin kritisierte er das beschlossene Quotensystem scharf. Die verbindlichen Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen seien ein unwirksames und die EU spaltendes Mittel.
Die EU-Kommission hat vor kurzem Ungarn, Polen und Tschechien verklagt, weil sie weniger Flüchtlinge aufgenommen haben als vereinbart. Bei der Reform des Dublin-Systems, die bei dem Gipfeltreffen auf der Tagesordnung steht, geht es im Kern um die Frage, ob verbindliche Aufnahmequoten dauerhaft eingeführt werden. Derzeit gibt es sie nicht, weshalb vor allem Griechenland und Italien von der Flüchtlingskrise belastet wurden.
Österreich und Niederlande unterstützen Merkel
"Das jetzige Dublin-System funktioniert überhaupt nicht, und deshalb brauchen wir hier auch nach innen solidarische Lösungen", betonte Merkel. Unterstützung bekam sie vom österreichischen Bundeskanzler Christian Kern. Er sei "über die Formulierung von Tusk wirklich unglücklich", erklärte Kern. Auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte wandte sich gegen "ein System, in dem Länder sich das holen, was sie an der Europäischen Union mögen, während sie nicht willens sind, die nötige Solidarität zu zeigen".
Osteuropäer lehnen Quoten ab
Gegen verbindliche Aufnahmequoten stellen sich vor allem osteuropäische Länder. Die Regierungschefs von Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei kamen unmittelbar vor Gipfelbeginn mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zusammen, um ihre Unterstützung für Maßnahmen der EU beim Schutz der Außengrenzen zu besprechen.
Sie seien bereit, über 30 Millionen Euro zum Schutz der Außengrenzen und für die EU-Maßnahmen in Libyen zu geben, sagte Ungarns Viktor Orban. Es sei dieses Element der EU-Migrationspolitik, das bisher funktioniert habe. Die sogenannte Solidarität nach außen, also etwa bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten wie Libyen, ist in der Union weitgehend unstrittig.
Streit gefährdet Gipfelablauf
Die 28 EU-Regierungen wollten auf dem Gipfel eigentlich zunächst den Einstieg in eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik feiern. Zudem soll der Startschuss für die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien gegeben werden. Der neu entbrannte Streit über die Flüchtlingspolitik aber droht, den Ablauf des zweitägigen Treffens durcheinander zu bringen. Dabei schien das Thema angesichts rückläufiger Zahlen von Flüchtlingen in den vergangenen Wochen in die zweite Reihe zu rücken.