Brüssel Der EU-Gipfel und Merkels Handy
Auf dem offiziellen Programm des EU-Gipfels stehen die Internetwirtschaft und die Bankenunion, doch ein Thema schlägt besonders hohe Wellen: Der US-Lauschangriff auf Merkels Handy. Forderungen nach einer Unterbrechung der Freihandelsgespräche wurden laut.
Beim EU-Gipfel in Brüssel schlägt die Empörung über den vermuteten US-Lauschangriff auf das Handy von Kanzlerin Angela Merkel hohe Wellen. Die Forderungen, die laut wurden, reichen von einer Unterbrechung der Freihandelsgespräche mit den USA bis hin zur Kündigung von Abkommen zur Datenweitergabe an die Amerikaner.
Österreichs Vizekanzler Michael Spindelegger sagte: "Man kann besonders zwischen befreundeten Ländern nicht einfach jemand anderen abhören, Daten absaugen, verarbeiten, ohne dass es dafür wirklich eine gemeinsame Grundlage gibt." Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt nannte es "natürlich inakzeptabel", wenn Telefongespräche von Regierungschefs abgehört würden. "Dieses systematische Ausspionieren ist nicht hinnehmbar", sagte auch Belgiens Regierungschef Elio Di Rupo. "Es sind nun europäische Maßnahmen nötig." Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte: "Ich habe keine Hinweise, dass ich abgehört werde" - und fügte hinzu, dass man da nie sicher sein könne.
Auch Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande berieten über den US-Spionageskandal. Die beiden seien zu einem "kurzen Meinungsaustausch" zusammengekommen, hieß es aus deutschen Regierungskreisen. "Beide sprachen über jüngste Informationen über mögliche Ausspähaktivitäten der US-Dienste gegenüber Deutschland und Frankreich."
Auch Swift soll im Visier der NSA gewesen sein
Die EU verhandelt seit Sommer mit Washington über die Schaffung der weltgrößten Freihandelszone mit gut 800 Millionen Einwohnern. Experten hoffen auf bis zu zwei Millionen neue Arbeitsplätze. Das EU-Parlament redet in der Handelspolitik mit, weil es den Pakt billigen muss.
Bereits am Vortag hatte das Europaparlament die Kündigung des Swift-Abkommens gefordert, das den US-Geheimdiensten seit 2010 den gezielten Blick auf Kontobewegungen von Verdächtigen in Europa erlaubt. Auch der in Belgien ansässige Finanzdienstleister Swift, der Überweisungen von Bankkunden weltweit abwickelt, soll im Visier der NSA gewesen sein.
Datenschutzreform bekommt neuen Schwung
Auf dem offiziellen Programm des zweitägigen EU-Gipfels stehen die Internetwirtschaft, die Bankenunion und das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer. Die neuesten Enthüllungen geben auch der Datenschutzreform neuen Schwung, über die die EU seit Anfang 2012 diskutiert. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso verwies auf diese Pläne, die Europas Bürgern mehr Rechte an ihren Daten im Internet - etwa gegenüber US-Konzernen wie Google und Facebook - geben sollen.
EU-Justizkommissarin Viviane Reding forderte, beim EU-Gipfel den Weg für die Datenschutzreform freizumachen. "Wir brauchen jetzt großen europäischen Datenschutz gegen große Lauschohren", sagte sie der "Bild-Zeitung". Datenschutz müsse für alle gelten. "Egal, ob es um die E-Mails der Bürger oder das Handy von Angela Merkel geht."