Kürzung von Hilfsgeldern Irritation nach EU-Brief zur Türkei
Ausgerechnet vor der Libyen-Konferenz kündigt der EU-Außenbeauftragte Borrell die Kürzung von Hilfsgeldern an die Türkei an. Nur: Beschlossen war das schon längst - umso heikler der Zeitpunkt der Veröffentlichung.
Kurz vor dem Libyen-Gipfel im Kanzleramt, bei dem die Türkei eine wichtige Rolle spielt, verärgert die Europäische Union den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan - indem der Auswärtige Dienst der EU einen Brief ihres Außenbeauftragten Josep Borrell öffentlich macht. In diesem Brief an das EU-Parlament steht nichts Neues, denn die drastischen Kürzungen der Vorbeitrittshilfen an die Türkei um 75 Prozent wurden bereits im vergangenem Jahr beschlossen - und zwar wegen des türkischen Vorgehens in Nordsyrien gegen die Kurden und wegen türkischer Gasprobebohrungen vor Zypern, mit welchen Borrell die Kürzungen auch jetzt begründete.
Ausgerechnet wenige Stunden vor dem entscheidenden Libyen-Gipfel bei Merkel hat der EU-Chefiplomat also höchst undiplomatisch noch einmal schriftlich etwas betont, was längst beschlossen war und haushaltstechnisch jetzt wirksam wird - und was der EU-Außenbeauftragte ohne Probleme auch nach dem Libyen-Gipfel hätte veröffentlichen können. Borells Ungeschicklichkeit sorgt im Kanzleramt für Irritation.
Die EU-Kommission arbeitet daher an einer relativierenden Presseerklärung, welche die Wogen glätten soll. Die Marschrichtung ist klar: Zwar werden die Türkei-Beihilfen gekürzt, nicht aber die Mittel, die speziell in den Bereich zur Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fließen. Auch die Zahlungen, die die EU im Rahmen des Flüchtlingsabkommens an die Türkei leistet, bleiben von den Kürzungen unberührt.
EU-Parlamentarier: Kürzungen gerechtfertigt
Einer der ersten EU-Parlamentarier, der den Brief von Borrell gelesen hat, ist Dietmar Köster vom Ausschuss für Auswärtiges. Die angekündigten Kürzungen der EU-Finanzhilfen für den Beitrittsprozess der Türkei seien absolut gerechtfertigt, betont der Dortmunder SPD-Abgeordnete. Seine Begründung: Die Türkei Erdogans habe sich immer mehr von der EU entfernt. Sie beschädige den Rechtsstaat, wenn sie die Machtbefugnisse des Präsidenten ausweite, und sie stelle sich klar gegen das Völkerrecht, wenn sie in Nordsyrien einmarschiere und dort Krieg gegen die Kurden führe.
Auch das Abkommen der türkischen Regierung mit der libyschen Zentralregierung über einseitige neue Grenzziehungen, um Zugriff auf Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer zu erlangen, sei nicht zu akzeptieren. Solche Schritte verschärften die Spannungen in der Region. "Aber zu begrüßen ist auch, dass die Finanzmittel für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der EU nicht betroffen sind", betonte Köster gegenüber dem ARD-Studio Brüssel.
Mit diesem Hinweis wird auch Borell versuchen, vor dem Libyen-Gipfel im Kanzleramt seinen Kopf aus der diplomatischen Schlinge zu ziehen. Der ältere Herr sei halt manchmal etwas erratisch, heißt es in Brüsseler Kommissionskreisen.