Kennzeichnungspflicht für israelische Siedlerprodukte Ein "extremer und diskriminierender" Beschluss
In Jerusalem ist man empört: Die Entscheidung der EU-Kommission, eine Kennzeichnungspflicht für Produkte aus den Siedlungen einzuführen, sei nicht hinnehmbar, heißt es. Und erwägt juristische Schritte.
Die EU-Richtlinie ist alles andere als eine Überraschung. In Brüssel wie in Jerusalem konnte man sich seit Tagen auf die heutige Entscheidung einstellen, auch wenn die israelische Regierung bis zuletzt versucht hat, den Beschluss zu verhindern. Justizministerin Ayellet Shaked im israelischen Radio: "Das ist ein gravierender Schritt. Die EU nennt das Westjordanland besetztes Gebiet; das stimmt nicht, es ist umstritten. Aber selbst wenn man dem folgen wollte - es gibt viele vergleichbare Gebiete: Zypern oder Tibet. Aber in ihrer Scheinheiligkeit fordert die EU dort nichts Vergleichbares, sehr wohl aber von Israel."
Konkret geht es um Obst und Gemüse, zum Beispiel Äpfel von den annektierten Golan-Höhen im Norden oder Paprika aus dem fruchtbaren Jordan-Tal im besetzten Westjordanland. Und es geht um Kosmetika, gewonnen aus den Mineralien des Toten Meers, wenn sie von besetztem Gebiet abgebaut wurden.
Siedlungen nicht "Made in Israel"
Für diese drei Produkte-Gruppen hat die EU-Kommission Richtlinien beschlossen, dass sie in den Supermärkten und Drogerien aller 28 Mitgliedstaaten nicht mehr als "Made in Israel" verkauft werden dürfen. Die Siedlungen als Herkunftsort sollen klar erkennbar sein. So haben es die EU-Außenminister schon vor über drei Jahren beschlossen: Israel ist demnach das international anerkannte Territorium in den Grenzen vor dem Sechs-Tage-Krieg, nicht aber das besetzte Westjordanland oder die annektierten Golan-Höhen.
Das israelische Außenministerium reagiert empört. Aus politischen Beweggründen sei dieser "extreme und diskriminierende" Beschluss ergangen, der einem Boykott gleich komme. Der EU-Botschafter in Israel Lars Faaborg-Andersen, wurde umgehend ins Außenministerium einbestellt, der Dialog mit der EU vorerst ausgesetzt. Die Kennzeichnungspflicht für Produkte aus Siedlungen könne Folgen für die Beziehungen zwischen Israel und der EU haben, heißt es drohend: "Mein Justizministerium erwägt verschiedene rechtliche Schritte, die man gegen diese Entscheidung anwenden könnte. Wenn wir hier klar sehen, dann werden wir wissen, wie wir vorgehen", sagt Justizministerin Shaked.
Dabei ist die wirtschaftliche Bedeutung eher gering. Umgerechnet gerade 280 Millionen Euro erwirtschaften die Betriebe in den jüdischen Siedlungen im Westjordanland. Obst, Gemüse und Kosmetika von dort machen gerade mal anderthalb Prozent der gesamten israelischen Exporte aus.
Viel Applaus von der Linken
Trotzdem ist die Aufregung groß, weil durch die Kennzeichnungspflicht die völlig gegensätzlichen Meinungen zum israelischen Siedlungsbau deutlich werden. So prompt die empörte Kritik, so prompt kam auch der Applaus israelischer Nichtregierungsorganisationen: Human Rights Watch etwa stellt fest, die EU komme ihrer Verpflichtung nach, die Siedlungen als Verstoß gegen internationales Menschenrecht zu kennzeichnen. Und in einer Petition von rund 550 Intellektuellen in Israel heißt es, zwischen Israel und den Siedlungen zu unterscheiden sei ein erster Schritt, die gegenwärtigen Spannungen abzubauen.
Auch Yariv Oppenheimer, Begründer der Initiative "Frieden Jetzt", äußert sich dankbar über den Druck von außen: "Das ist eine Entscheidung, die Israel stärken kann, weil der Unterschied zwischen Israel und den besetzten Gebieten deutlich wird. Die Botschaft der EU-Kommission ist ja: Was in Israel produziert wird, ist rechtmäßig. Kauft es, investiert dort, setzt die Beziehungen fort. Aber aus den Siedlungen wollen wir nicht kaufen, wir wollen dort nicht investieren, denn mit den Siedlungen werden politische Ziele verfolgt, die unseren Werten widersprechen."
Und Oppenheimer widerspricht allen, die in Israel von Boykott reden. Gehör finden aber eher diejenigen, die die Kennzeichnungspflicht mit dem Boykott jüdischer Geschäfte in Nazi-Deutschland vergleichen und den Europäern Antisemitismus vorwerfen. Und ausgerechnet heute geht es im Rathaus von Jerusalem um die Bau-Freigabe für knapp 900 weitere Wohnungen, die auf besetztem palästinensischem Gebiet entstehen sollen.