EU-Parlament zu sexueller Gewalt Von #metoo zu #notme
Es ist eine überfällige Debatte: Das Europaparlament hat sich heute mit sexueller Gewalt auseinandergesetzt. Nicht mit dem allgemeinen Phänomen, sondern mit Fällen im eigenen Haus. Die Debatte zeigt: Auch hier muss sich vieles ändern.
"Auch ich wurde Opfer sexueller Belästigung", ruft die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke im Europaparlament. Der Anlass: Eine Debatte, wie sie das Haus der europäischen Volksvertreter noch nie hatte, aber wohl längst hätte haben müssen. Denn Dutzende Frauen, vor allem Mitarbeiterinnen im EU-Parlament, haben sich in den vergangenen Tagen und Wochen bei Medien gemeldet, um anonym Fälle sexueller Belästigung, Übergriffe, in einigen Fällen sogar Gewalt zu melden, ausgelöst durch den Fall des Filmproduzenten Harvey Weinstein.
Reintke hielt im Parlament ein "metoo"-Plakat hoch.
Die Berichte sind derzeit Gesprächsthema Nummer eins in Brüssel und Straßburg, wo das EU-Parlament tagt. Was die österreichische Liberale Angelika Mlinar allerdings auch etwas verlogen findet. "Plötzlich sind alle schockiert und beklagen Verhaltensweisen, die schon immer existiert und das Leben vieler Frauen beeinträchtigt haben."
Kampagnen im Netz, wie jetzt die Berichte von Frauen über sexuelle Gewalt unter dem Schlagwort #metoo ("Ich auch") seien nicht genug. "Wir müssen von #metoo zu #notme kommen. Was sich verändern muss, ist unser Umgang mit Macht und letztlich das Machtgefüge selbst."
Das EP ist keine Ausnahme
Und das gilt offenbar auch im Europaparlament: In etlichen Fällen sollen Mitarbeiter und auch Abgeordnete ihre Macht ausgenutzt haben, um sich Frauen gegenüber sexistisch zu äußern, sie zu belästigen, in einigen Fällen sogar übergriffig zu werden.
Das Magazin "Politico" berichtet nun von einer Parlamentsmitarbeiterin, die eine Vergewaltigung durch einen Kollegen anzeigen wollte, aber bei ihrem Vorgesetzten keine Hilfe bekam. Parlamentspräsident Antonio Tajani erklärte Anfang der Woche überrascht, die Beschwerdestelle des Parlaments habe keine konkreten Hinweise auf sexuelle Übergriffe erhalten.
Kein Wunder, erwidert die britische Konservative Julie Girling. "Die Opfer trauen sich nicht, diese Möglichkeit zu nutzen. Und das ist das Problem: Wir nehmen das einfach nicht ernst."
Angst vor den Folgen von Beschwerden
Schon die Angst, sich mit einer Beschwerde über den übergriffigen Chef oder Mitarbeiter die Karriere zu ruinieren, vielleicht sogar den Job zu verlieren, sei zu hoch, beklagen die Frauen im EU-Parlament. Der SPD-Politiker Udo Bullmann, einer der wenigen Männer, die dazu im Europaparlament sprechen, erklärt: "Das hat immer etwas zu tun mit dümmlichem Dominanzverhalten. Es ist immer etwas Herrschaftliches darin. Und die Ursachen dieses Verhaltens müssen wir aufdecken."
Und das schaffe das Europaparlament nicht von sich aus, sagen viele weibliche Abgeordnete; sie fordern eine externe Untersuchung. Die aber hat Parlamentspräsident Tajani abgelehnt.
Das wollen viele Parlamentarierinnen nicht akzeptieren. Sie haben eine Resolution vorbereitet, über die morgen abgestimmt wird. Eine der Forderungen: Die Vorwürfe sexueller Gewalt im EU-Parlament sollen von unabhängiger Stelle untersucht werden. Und zwar nicht nur die aktuellen, sondern auch die, die es in Zukunft geben könnte.