EU-Sozialgipfel Eine "soziale Säule" für Europa
Die EU will mehr für soziale Gerechtigkeit, gute Jobs und Bildungschancen tun - auch um EU-Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Feierlich bekannten sich die 28 Staaten in Göteborg zu gemeinsamen sozialen Standards.
Freier Zugang zum Arbeitsmarkt, Chancengleichheit, soziale Sicherheit und faire Arbeitsbedingungen für alle: Das sind Kernbausteine der "sozialen Säule". Ein 20-Punkte-Programm, das soziale Mindeststandards für alle etwa 500 Millionen Menschen in der EU setzt. 28 Staaten, darunter Deutschland, haben sich zu der Erklärung bekannt, die in Göteborg feierlich unterzeichnet worden ist.
Ein Anfang
Die Bundeskanzlerin war nicht dabei. Angela Merkel hatte ihr Kommen abgesagt - in weiser Voraussicht mit Blick auf die schwierigen Berliner Koalitionsgespräche. Die sind einigermaßen festgefahren, während der Wandel der EU hin zu einer sozialeren Union nach den Worten von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch am Anfang steht. "Wenn wir glaubwürdig sein wollen, dann müssen wir liefern. Dies ist der Anfang, nicht das Ende, und wir haben noch nicht einmal Halbzeit", sagte Juncker.
Die Säule steht vorerst allein
Der Beifall war höflich, nicht euphorisch. Denn die "soziale Säule" steht vorerst alleine im Raum und hat nichts zu tragen. Die im Papier festgeschriebenen Rechte auf lebenslanges Lernen, bessere Gesundheitsfürsorge oder effektiveren Datenschutz - alles unverbindliche Forderungen, die vor allem ein gutes Gefühl verbreiten und es den stärker werdenden EU-Skeptikern und Populisten schwerer machen sollen.
Die sitzen auch Stefan Löfven im Nacken, dem sozialdemokratischen Regierungschef Schwedens, wo im kommenden Jahr gewählt wird. Für ihn war der Gipfel von Göteborg auch eine Chance, sein persönliches Profil als sozial verantwortlicher Politiker und Staatsmann zu schärfen. "Die Diskussionen hier haben klar gezeigt, dass es eine große Bereitschaft gibt, die Interessen der Bürger ins Zentrum der europäischen Politik zu stellen", sagte er. "Wenn wir nun den Worten Taten folgen lassen, können wir die bereits wachsende europäische Wirtschaft weiter stärken."
Kritiker bemängeln Unverbindlichkeit
Wenn denn Taten folgen. Kritiker bemängeln zum einen die Unverbindlichkeit der "sozialen Säule" und die Tatsache, dass die EU-Bürger darin beschriebene Rechte nirgends einklagen können.
Zum anderen wittern Skeptiker der Union, wie der schwedische Oppositionspolitiker Eskil Erlandsson, einen weiteren Versuch der EU, mehr Einfluss zu gewinnen. "Brüssel treibt Dinge häufig voran, um mehr Macht an sich zu ziehen", sagt Erlandsson. "Bei sozialen Fragen will ich das aber nicht. Das sollten die Staaten für sich entscheiden."
Und dann gibt es noch Experten wie Magnus Henrekson, Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftsforschung in Stockholm. Er glaubt nicht an soziale Korrekturen nach oben, also daran, dass bisher niedrige Standards in den ärmeren EU-Staaten nach dem Vorbild wohlhabenderer Länder erhöht werden. Wahrscheinlich sei in der für ihre Bürger offenen EU eher die Fortsetzung der bisherigen und umgekehrten Negativ-Entwicklung. "Wenn es möglich ist, einfach von einem Land mit geringer sozialer Sicherung in Staaten mit besseren Wohlfahrtssystemen zu ziehen und dort schnell Zugang zu den System zu erhalten, dann müssen diese Staaten ihr Niveau senken. Auch für die eigenen Bürger", so Henrekson.