EU und die Türkei-Wahl "Dauerhaft unglückliche Beziehung"
Vor der Wahl in der Türkei fremdelt die EU mit ihrem Beitrittskandidaten. Der ehemalige EU-Botschafter im Land spricht von einer "dauerhaft unglücklichen Beziehung" - sogar bei einem Sieg der Opposition.
Wie unterkühlt das Verhältnis der EU-Spitze zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über die Jahre geworden ist - dafür bot das Gipfeltreffen Ende März im bulgarischen Warna das beste Beispiel: Die gefühlte Temperatur im Pressesaal, so der allgemeine Eindruck, sank um ein paar Grad, als die Teilnehmer gemeinsam vor die Mikrofone traten.
An diesem Verhältnis wird sich aus Sicht des ehemaligen EU-Botschafters in der Türkei, Marc Pierini, auch nach dieser Wahl wenig ändern, sollte Erdogan Präsident bleiben: "Ich sehe noch mehr Konfliktstoff voraus. Und ein weiteres Auseinanderdriften mit Europa, wenn es um Politik geht", sagt er im ARD-Interview. "Natürlich wird es weiter eine Beziehung geben: Es gibt schließlich Handel, die Flüchtlinge und den Syrien-Krieg. Aber es wird eine dauerhaft unglückliche Beziehung sein."
"In großen Schritten" weg von der EU
Ein verheerendes Zeugnis stellte die EU-Kommission ihrem Beitrittskandidaten - was die Türkei ja nach wie vor ist - im April aus: Dass sich sein Land "in großen Schritten" von der EU entferne, bescheinigte man Erdogan. Und Brüssel kritisierte scharf die Verletzung demokratischer Spielregeln, den Umgang mit den Kurden und auch die Einschränkung der Pressefreiheit. Woran sich seitdem wenig geändert hat, wie kürzlich EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn beklagte: "Trotz zahlreicher Aufforderungen und Empfehlungen der internationalen Gemeinschaft geht die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in großem Stil weiter."
Die Frage ist: Ob aus der Zweckehe, die Europas Hauptstädte und Ankara derzeit führen, doch wieder eine Art "Liebesbeziehung" werden könnte, sollte die Opposition siegreich aus den Wahlen hervorgehen. Pierini sagt: "Atmosphärisch würde das die Dinge sofort entspannen. Aber das heißt nicht, dass bei den inhaltlichen Zutaten dieser Beziehung zur EU über Nacht alles einfacher wäre. Die öffentliche Meinung in Europa lehnt einen EU-Beitritt der Türkei ab. Aber wenigstens könnte man diese Diskussion auf vernünftige Art und Weise führen."
Erdogan hielt sich mit EU-Attacken zurück
Eine entscheidende Rolle spielt auch, dass der neue türkische Präsident - egal, wie er heißt - automatisch ein mächtigerer sein wird. Mit der Wahl findet nämlich die von Erdogan eingeleitete Umwandlung der Verfassung ihren Abschluss. "In dem Fall bekommen Sie das System einer 'Ein-Mann-Herrschaft'. Das ist sehr weit entfernt von EU-Standards", sagt Ex-Botschafter Pierini, der heute für die Denkfabrik "Carnegie Europe" arbeitet.
Die Opposition dürfte im Falle eines Machtzuwachses versuchen, die neue Machtfülle des Präsidenten wieder zu beschneiden. Doch von einem Tag auf den anderen wird das nicht möglich sein. Auch wenn Präsident Erdogan im Wahlkampf sich mit seinen gefürchteten Verbal-Attacken auf die EU weitgehend zurückgehalten hatte: Entscheidend für die Europäische Union, aber auch für die NATO und die USA wird letztlich sein, ob Ankaras Abwendungskurs nach diesen Wahlen weitergeht oder nicht.