Finanzkrise in der Türkei Europa schaut zu und schweigt
Der Umgang mit der Finanzkrise zeigt das fragile Verhältnis der Türkei mit Europa. Ohne Flüchtlingsabkommen wäre es noch schlimmer. Was sollte die EU nun tun?
Die Türkei steckt in der Klemme, und Europa schaut zu. Anders ist es kaum zu erklären, dass es bislang kein offizielles Statement hochrangiger Brüsseler Kommissionsvertreter gibt zu dem, was da im Moment passiert. Und das ist ja einiges.
Die türkische Währung hat den massivsten Absturz innerhalb kürzester Zeit ihrer Geschichte sehen müssen, die türkische Wirtschaft steht deshalb kurz vom dem Kollaps, und dann zieht US-Präsident Donald Trump auch noch mit weiteren Sanktionen und Zöllen zusätzlich die Daumenschrauben an.
Politisches Band scheint völlig zerrissen
Wohlgemerkt: Die Türkei und die USA sind NATO-Partner, aber das politische Band scheint völlig zerrissen, seit die US-Regierung sich weigert, den islamischen Geistlichen Fethullah Gülen an die Türkei auszuliefern und die Türkei im Gegenzug sozusagen einen amerikanischen evangelikalen Geistlichen gefangen hält.
Dazu kommt Trumps Militärhilfe an die syrischen Kurden, die dem Erdogan-Regime immer schon ein Dorn im Auge ist. Und mindestens genau so wichtig: Es kommt seit ein paar Jahren eine türkische Wirtschaftspolitik dazu, die auf billiges Geld und wachsende Staatsverschuldung setzt.
Europa schweigt
Das hat die Wirtschaft der Türkei eine ganze Weile boomen und brummen lassen, aber jetzt ist das Strohfeuer erloschen. Es beginnt eine Abwärtsspirale aus steigenden Preisen und einer im Wert immer weiter verfallenden Lira. Und Europa sieht und staunt - und schweigt.
"Wir sind uns bewusst, dass hier möglicherweise Folgen für europäische Banken entstehen können, aber wir kommentieren üblicherweise keine Marktbewegungen", erklärte Kommissionssprecher Christian Spahr. "Die Kommission beobachtet die Entwicklung allerdings aufmerksam. Das ist das, was ich im Moment sagen kann."
Verhältnis ist stark abgekühlt
Nicht viel. Was auch daran liegt, dass man der Türkei zwar auch über die NATO verbunden ist - aber viel mehr eben auch nicht. Und seit einigen Jahren gilt das ganz besonders, spätestens seit Präsident Recep Tayyip Erdogan alles dafür tut, um Macht bei sich anzuhäufen und die Demokratie in seinem Land auszuhebeln. Das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei ist also - Diplomaten würden wohl sagen - stark abgekühlt.
Im Moment ist es allein das europäisch-türkische Flüchtlingsabkommen, das beide Seiten konkret aneinander bindet. Dadurch soll die Türkei immerhin sechs Milliarden Euro bekommen. Politische Beobachter in Brüssel sagen: Erdogan brauchte dieses Abkommen noch nie so dringend wie heute.
Ökonomische Situation ist das alles Entscheidende
Andererseits hätte die Europäische Union von einem wirtschaftlichen Zusammenbruch der Türkei überhaupt nichts. "Deshalb ist die ökonomische Situation in der Türkei im Moment das alles Entscheidende", meint David Herszenhorn vom Brüsseler Magazin und Think-Tank Politico. "Der Lira-Absturz und die Schuldenkrise - das hat erhebliche Auswirkungen und Belastungen auf die Europäische Union, aber auch auf Russland und die USA." Trotzdem glaubt Herszenhorn nicht, dass Trump die Zölle gegen die Türkei aufheben werde, auch wenn sie das Ganze verschlimmerten.
In Sachen mögliche finanzielle Hilfe für die Türkei sehen deshalb viele Experten derzeit auch nicht die EU am Zuge. Die Situation sei zwar schwierig, aber für Europa und seine Banken nicht existenziell. Herszenhorn glaubt deshalb, dass die derzeitige Situation die Türkei in die Arme Russlands treibt. Man werde sehen, ob Russlands Präsident Wladimir Putin mit einer Rettungsleine um die Ecke kommt oder Erdogan zum IWF gezwungen werde. Zum Internationalen Währungsfonds also, um dort um Geld zu fragen. Oder die EU denkt sich doch noch eine diplomatische Lösung aus.