EU-Kommissarin Vestager "Kartelle sind von Habgier getrieben"
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat sich spätestens mit ihren Ermittlungen gegen Google einen Namen gemacht - und wird als Kommissionspräsidentin gehandelt. Im tagesschau.de-Interview spricht sie über die Arbeit gegen Kartelle - und ihre Sympathien für Macron.
ARD-Studio Brüssel: Lassen Sie uns zunächst über eine aktuelle Angelegenheit sprechen. Wie weit sind sie mit den Ermittlungen gegen Teile der deutschen Autoindustrie?
Vestager: Es ist eine laufende Ermittlung. Also bin ich sehr vorsichtig damit, ins Detail zu gehen. Denn wir gehen diese Ermittlungen unvoreingenommen an: Bevor wir keine Ergebnisse haben, haben wir keine Ergebnisse. Einer der Gründe dafür ist, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, keinen Fehler zu begehen und zu denken, dass legitime Kooperation zur Innovation und Entwicklung ein Kartell ist.
Auf der anderen Seite: Wenn es ein Kartell gibt, wenn Entscheidungen getroffen werden, die Konsumenten schaden, dann haben wir natürlich einen Fall und dann werden wir uns auch damit beschäftigen.
Margrethe Vestager ist seit 2014 EU-Kommissarin für Wettbewerb. Die Pastorentochter war zuvor Chefin der dänischen Sozialliberalen, Wirtschafts- und Innenministerin sowie Vize-Regierungschefin.
ARD-Studio Brüssel: Zunächst haben Sie sich mit der Lkw-Industrie in Deutschland beschäftigt, jetzt geht es um die großen Firmen und die Zulieferer. Um welche Dimensionen geht es?
Vestager: Das ist sehr schwer zu sagen. Aber das ist eine Industrie, in der wir es mit vielen Kartellen zu tun haben. Es gab beim Stromgenerator Kartellabsprachen. Beim Schaum in ihren Sitzen gab es Kartellabsprachen. Bei den Lichtern und bei den Bremsen. Wir sprechen also von einem Sektor, bei dem wir in den letzten Jahren Strafen von inzwischen etwa sieben Milliarden Euro verhängt haben. Das Lkw-Kartell war ein großes Kartell. Es bestand für einen langen Zeitraum und hat eine Strafe von insgesamt 4,2 Milliarden Euro zahlen müssen.
Unternehmen die solche Absprachen treffen, wollen eine Abkürzung einschlagen, um mehr Geld zu erwirtschaften. Oder sie haben Angst, sonst vom Markt gedrängt zu werden. Kartelle sind oft von Angst und Habgier getrieben.
"Es gibt kein Erfolgsverbot"
ARD-Studio Brüssel: Eine andere Methode der Wettbewerbsvermeidung wurde von Google begangen. Das Unternehmen bekam eine Strafe von 2,4 Milliarden Euro auferlegt. Was ist das aus Ihrer Sicht der Unterschied? Sind Sie zufrieden mit der aktuellen Situation?
Vestager: Wir haben in Europa kein Erfolgsverbot. Wenn Kunden ein Produkt gefällt, dann wachsen Unternehmen. Das ist auch in Ordnung so. Das Problem im Fall Google war, dass wir herausgefunden haben, dass sie ihre Macht auf dem Markt missbraucht haben. Denn fast alle Suchanfragen im Internet sind Google-Suchen. Und das haben sie missbraucht, um sich selbst zu bewerben und andere zurückzustufen. Und dann haben wir gesagt: 'Das könnt ihr nicht machen, das ist illegal. Ihr müsst eine Strafe bezahlen und damit aufhören.'
Jetzt schauen wir uns die Entscheidungen an, die Google getroffen hat, um ihre Wettbewerber so zu behandeln, wie sie sich selbst behandeln. Es bleibt also abzuwarten, ob wir mit den Entscheidungen, die Google getroffen hat, zufrieden sind.
"Ich bewundere ihn", sagt Magarethe Vestager über Emmanuel Macron.
"Die nächste Kommission liegt in der Zukunft"
ARD-Studio Brüssel: Sie sollen eine Kandidatin von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für die Kommissionspräsidentin sein?
Vestager: Ich kenne und ich bewundere ihn. Aber jetzt hat jeder in Europa seine Dinge zu tun. Die nächste Kommission liegt in der Zukunft. Es ist noch über ein Jahr hin, bis der Rat über den nächsten Kommissionspräsidenten entscheidet, hoffentlich mit der Zustimmung des Parlaments. Ein Jahr in der Politik ist wie ein Jahrhundert.
ARD-Studio Brüssel: Könnten sie sich vorstellen, einer Bewegung wie La République en Marche zu folgen?
Vestager: Eine Menge der Ansätze und Werte sind denen sehr ähnlich, die ich selbst verfolge. Es ist eine der Stärken, dass es nicht eine traditionelle Partei ist. Diese sich öffnende Politik nach den besten Lösungen zu suchen, die unsere Probleme lösen - das ist ein sehr praktischer Ansatz. Den brauchen wir.
Das Interview führte Michael Grytz, ARD-Studio Brüssel