Möglichkeit der Sammelklage Wie die EU Verbraucher stärken will
Der VW-Dieselskandal war der Auslöser: Anders als in den USA ist es in der EU für Verbraucher schwer, Sammelklagen gegen Konzerne einzureichen. Das will die EU ändern. Ein Überblick über die Pläne Brüssels.
Was hat der Verbraucher von Sammelklagen?
Seit im Herbst 2015 die millionenfache Manipulation von VW an Millionen von Dieselmotoren bekannt wurde, versuchen Verbraucher, Entschädigungen zu erhalten. Mit ihren Klagen haben sie jedoch meist keinen Erfolg. Schon seit Jahrzehnten setzen sich Verbraucherschützer deshalb für die Möglichkeit einer Kollektivklage ein. Die EU-Kommission forderte die Mitgliedstaaten bereits 2013 auf, gemeinsame Klagen auf Unterlassung und Schadenersatz zu erlauben. Passiert ist seitdem allerdings wenig.
Nur in wenigen EU-Ländern gibt es die Möglichkeit einer Sammelklage. Beispiele sind Frankreich, Portugal und Italien. Auch Deutschland bereitet sogenannte Musterfeststellungsklagen vor. Ein entsprechender Entwurf für ein Gesetz wird zurzeit vorbereitet. Das Kabinett soll ihn möglichst noch im April beschließen, denn die Zeit drängt. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass ein Gesetz zum 1. November in Kraft treten soll. Damit soll einer drohenden Verjährungen umgangen werden, damit auch Betroffene des VW-Abgasskandals von der Regelung Gebrauch machen können.
Welche Pläne hat die EU-Kommission?
EU-Kommissarin Vera Jourova. Die Brüsseler Behörde will einen vereinfachten Rechtszugang zu Sammelklagen geben, Missbrauch soll jedoch unterbunden werden.
EU-Justizkommissarin Vera Jourova stellte nun einen Gesetzesvorschlag vor. Bei der Präsentation sagte sie: "In einer globalisierten Welt, in der Großunternehmen einen riesigen Vorteil gegenüber den einzelnen Verbrauchern haben, müssen wir wieder Chancengleichheit herstellen."
Kernpunkt sind Klagen durch "qualifizierte Institutionen" wie Verbraucherverbände. Sie sollen künftig stellvertretend für Geschädigte klagen können. Im einfachsten Fall ist die Zahl der Betroffenen bekannt, und die Kläger haben vergleichbare Schäden erlitten. Hier könnten Verbraucherverbände auf Schadenersatz für die Geschädigten klagen. Ein Mandat brauchen die Verbände zunächst nicht. Eine Einschränkung, wäre jedoch, dass sie nicht profitorientiert arbeiten dürfen und ihre Finanzierung offenlegen müssen.
In einem zweiten Szenario ist der Streitwert so gering, dass die Zahlung von Schadenersatz an die Verbraucher unverhältnismäßig wäre. Wird ein Unternehmen dazu verurteilt, entstandenen Schaden auszugleichen, soll das Geld an gemeinnützige Stellen fließen.
Ein drittes Szenario geht davon aus, dass eine Sammelklage nur bedingt möglich ist. Solche Fälle würden bedeuten, dass die Zahl der Geschädigten unklar und der individuelle Schaden sehr verschieden ist. Der Dieselskandal von Volkswagen würde einen solchen Fall darstellen. Nationale Gerichte sollen dann zwar entscheiden können, dass EU-Recht verletzt wurde. Geschädigte müssten ihren Schadenersatz aber selbst einklagen und könnten sich auf das Gerichtsurteil berufen.
Wird es in der EU eine "Klageindustrie" wie in den USA geben?
Die EU-Kommission verneint das. In den USA sind Sammelklagen attraktiv für Rechtsbeistände, weil sie ein lukratives Geschäft versprechen. Viele Kanzleien haben sich deshalb auf diese Massenverfahren gegen Konzerne und Institutionen spezialisiert.
Der Vorschlag der Brüsseler Behörde soll jedoch laut Entwurf einen Mittelweg darstellen. Einerseits soll es einen vereinfachten Rechtszugang geben, andererseits soll Missbrauch unterbunden werden. Deshalb dürfen nur Non-Profit-Organisationen klagen.
Wie reagieren Verbraucherschützer auf das Brüsseler Vorhaben?
Bei Verbraucherschützern kommt das Vorhaben gut an - wenn jedoch mit Einschränkungen. Die beiden ersten Szenarien treffen weitgehend auf Zustimmung. Doch wenn es darum geht, dass die Zahl der Geschädigten unklar und der individuelle Schaden sehr verschieden ist, äußern die Verbraucherschützer Kritik. An dieser Stelle sei der Vorschlag der Kommission eine Minimallösung, sagt Ursula Pachl vom europäischen Verbraucherschutz-Verband BEUC.
Industrieverbände warnen vor Verhältnissen wie in den USA. Es gebe keinen Grund, "das amerikanische Sammelklagen-System zu kopieren, in dem Ansprüche ohne Verbrauchermandat vorgebracht werden können", sagt Markus Beyrer vom Europäischen Unternehmerverband Business Europe. Die Erfahrungen aus den USA hätten gezeigt, dass Verbraucher in den meisten Fällen leer ausgingen und Anwaltskanzleien profitierten.