Möglicher Anstieg der Flüchtlingszahlen EU fühlt sich besser vorbereitet
Im Herbst könnten allein aus Libyen 200.000 Flüchtlinge Europa erreichen. Wie gut ist die EU auf einen solchen Anstieg der Flüchtlingszahlen vorbereitet? Weit besser als 2015, findet die EU-Kommission. Doch stimmt das?
"Wir sind heute besser auf neue Flüchtlingswellen vorbereitet, als wir es waren", sagt Dimitris Avramopoulos. Der Grieche ist in der EU-Kommission für Migration zuständig. "Denken Sie mal daran, wo wir vor einem Jahr standen und wo wir jetzt sind", sagt Avramopoulos.
Innerhalb eines Jahres wurde einiges angeschoben, um die großen Flüchtlingsströme des Jahres 2015 künftig zu verhindern. Etwa die EU-Türkei-Vereinbarung. Die Zahl der aus der Türkei ankommenden Migranten sei von mehr als 1700 pro Tag auf durchschnittlich 85 am Tag zurückgegangen, sagt die EU-Kommission. Die NATO patrouilliere in der griechischen Ägäis. Die Westbalkanroute sei versperrt. Das Geschäft der Schlepper sei zusammengebrochen.
"Wir haben Fortschritte gemacht"
Die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll nun noch die Grenze von Bulgarien zur Türkei abdichten. Migrationskommissar Avramopoulos ist der Meinung: "Wir haben Fortschritte gemacht." Doch reichen Fortschritte?
Die EU sei ungenügend auf einen erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen vorbereitet, kritisiert das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen. Vor allem, wenn es um Notfallplanungen gehe, warnt Vincent Cochetel, der europäische Direktor des UNHCR. Die Lage in Afghanistan und Syrien bleibe schwierig. Im Irak, wo die Terrormiliz "IS" große Gebiete kontrolliere, könne es schlimmer werden.
Flüchtlingszahl in Italien auf Rekordhoch
Hinzu kommt Italien. "Ja, wir wissen, dass der Zustrom über das Mittelmeer nach Italien anhält", räumt Migrationskommissar Avramopoulos ein. Im September stieg die Zahl der Flüchtlinge in Italien auf knapp 160.000. Ein Rekordhoch. Einem österreichischen Geheimdienstbericht zufolge könnte es noch in diesem Herbst eine neue Flüchtlingswelle aus Afrika geben. Demnach halten sich derzeit rund 900.000 Migranten in Libyen auf, geschätzte 200.000 von ihnen könnten nach Europa kommen.
Österreich bereitet sich seit Monaten auf eine umfassendere Sicherung der Grenze zu Italien vor. Die EU und die Mitgliedsländer betrieben eine Politik der Angst und der Zäune, die Menschen zurückdränge, kritisiert Iverna McGowan von Amnesty International. "Dies ist die größte Flüchtlingskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs", sagt die Menschenrechtlerin. Die EU habe das Geld, die Mittel und die politischen Instrumente, um mit der Situation human umzugehen, doch sie habe sich dagegen entschieden. "Das ist unverantwortlich und zu kurz gedacht", meint McGowan. Denn es gebe keinen Zaun, der höher sei, als der Wille eines Menschen zu überleben.
EU-Kommission setzt auf sichere Außengrenzen
Die EU-Kommission setzt dagegen derzeit sehr stark auf die Sicherung der europäischen Außengrenzen und den Stopp "irregulärer Migration", wie sie es nennt. "Ja, wir sind besser vorbereitet als zuvor", sagt Migrationskommissar Avramopoulos. Europa werde in Zukunft nicht mehr von Flüchtlingswellen überrascht werden, meint der Grieche. Es wird spannend zu beobachten, ob er Recht behält.