Ein Jahr EU-Flüchtlingsquote Projekt "Flexible Solidarität"
Ein Jahr ist es her, da hatten die europäischen Innenminister lange verhandelt, bis entschieden war, 160.000 Flüchtlinge nach einer Quote in Europa zu verteilen. Das Problem dabei: heftiger Widerstand aus Osteuropa. Das neue Projekt heißt nun "Flexible Solidarität".
"Alle Mitgliedstaaten stehen in der Verantwortung, sich im angemessenen Umfang an der Aufnahme von Flüchtlingen zu beteiligen. Solidarität und Verantwortung müssen Hand in Hand gehen", so heißt es in der Regierungserklärung der Kanzlerin im Juni 2015. Die große Flüchtlingswelle über den Balkan steht noch bevor, dafür entwickelt sich die Lage im südlichen Mittelmeer dramatisch. In der EU hat die hektische Suche nach einer "europäischen Lösung" begonnen.
Dass Deutschland auf einmal zu jener Handvoll Länder gehört, in denen mit Abstand die meisten Schutzbedürftigen landen, bewirkt in Berlin ein Umdenken: Quasi über Nacht gibt Angela Merkel ihr Beharren auf der "Dublin-Regel" auf und wirbt für eine solidarische Lastenverteilung in der Asylpolitik. Ihr engster Mitstreiter: Kommissionschef Jean-Claude Juncker. "Wir können uns nicht alle sechs Monate von vorne überlegen, wie man die Flüchtlinge umverteilt", sagt er. Ein permanenter Mechanismus müsse deshalb her.
Kopfschütteln bei EU-Skeptikern
Seinen Innenkommissar, Dimitris Avramopoulos, weist Juncker an, einen Plan für ein Quoten-Modell auszuarbeiten, zunächst noch als Pilotprojekt. Um die besonders betroffenen EU-Mitglieder, Italien und Griechenland, zu entlasten, empfiehlt der, einen Teil der Ankommenden - insgesamt 160.000 - nach festen Kriterien umzusiedeln.
Auf Deutschland entfiele demnach ein Anteil von etwa 25 Prozent - 40.000 Menschen in zwei Jahren. Die Kriterien für die Verteilung, so Avramopoulos, seien die Bevölkerungsgröße, Wirtschaftskraft, die Anzahl bereits aufgenommener Flüchtlinge und die Arbeitslosenquote.
Auch wenn die Idee auf dem Papier sinnvoll erscheint und prominente EU-Politiker, wie Parlamentspräsident Martin Schulz, dafür werben, können sich die 28 Staats- und Regierungschefs auf einen solchen Verteilungsschlüssel nicht einigen. Was nicht nur unter EU-Skeptikern für Kopfschütteln sorgt.
"Deutsches Problem"
Besonders die Osteuropäer, allen voran Ungarn und Slowaken, stellen sich quer und werden schließlich in einer turbulenten Nachtsitzung des Ministerrates überstimmt. Gemäß EU-Vertrag ein durchaus gangbarer Weg. Angesichts des brisanten Themas aber ein Präzedenzfall, der Narben hinterlässt: Auf dem Höhepunkt der Krise erklärt der ungarische Ministerpräsident Victor Orban Merkels "Willkommenskultur" zu einem Irrweg und den Exodus der Syrer zu einem "deutschen Problem". In Ungarn wolle ja sowieso niemand bleiben.
Ungarn und die Slowakei, die nach Brüsseler Rechnung zusammen nur etwas mehr als 2000 Flüchtlinge aufnehmen müssten, haben inzwischen beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Klage eingereicht. Für Anfang Oktober hat Premier Orban außerdem eine Volksabstimmung gegen die Quotenregelung angesetzt. Sein Botschafter spricht von "kultureller Gegenrevolution".
30 Jahre zur Vollendung?
Und auch Polens neue Rechts-Regierung hat angedroht, sich nicht an den Mehrheitsbeschluss zu halten, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet wäre, wie Luxemburgs Außenminister Asselborn betont: "Wir haben eine Entscheidung und jedes Land hat sich daran zu halten, auch die Länder, die dagegen gestimmt haben." Schließlich sei die Abstimmungsentscheidung Gesetz in der Europäischen Union.
Der Hinweis auf die Rechtslage scheint die Rebellen in der Visegrad-Gruppe - Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen - bis heute wenig zu beeindrucken. Zumal sich auch andere, wie Frankreich oder Spanien, bei der Aufnahme von Flüchtlingen vornehm zurückhalten.
Die Bilanz nach einem Jahr fällt entsprechend bescheiden aus: Von den vereinbarten 160.000 Menschen aus griechischen und italienischen Lagern wurden knapp 5000 umverteilt. Ginge es in diesem Tempo weiter, wäre das Programm erst in 30 Jahren beendet. Leer wären die sogenannten "Hotspots" dann aber immer noch nicht.
Solidarität von Herzen
In Brüssel und Berlin hat man die Niederlage stillschweigend anerkannt. EU-Kommissionschef Juncker räumt ein: Solidarität sei etwas Freiwilliges und müsse von Herzen kommen, verordnen oder gar erzwingen könne man sie nicht.
Hinter den Kulissen wird derweil nach einem Ausweg gesucht, zumindest die finanziellen Lasten doch noch fairer zu verteilen. Unter dem eigens kreierten Stichwort "flexible Solidarität" wird überlegt, Länder, die wenig bis keine Asylsuchenden aufnehmen, künftig stärker an den Kosten für den Grenzschutz zu beteiligen. Ein Tauschgeschäft, das den tiefen Graben in der Flüchtlingsfrage überbrücken soll und zugleich den schleichenden Kurswechsel - weg von der Quote, hin zu mehr Kontrolle - dokumentiert.