Eurasische Union nimmt Arbeit auf Im Sog der russischen Krise
Der heutige Start der Eurasischen Union fällt in eine ungünstige Zeit: Russland als treibende Kraft im Bündnis zieht die anderen Mitglieder in den Sog seiner Wirtschaftskrise. Die vier Ex-Sowjetrepubliken kämpfen mit den Folgen der engen Anbindung und des Rubelverfalls.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
"Die Eurasische Union basiert auf gegenseitigem Nutzen und der Berücksichtigung gemeinsamer Interessen", beschrieb Russlands Präsident Wladimir Putin am 23. Dezember in Moskau bei einem Gifpeltreffen mit den Präsidenten Weißrusslands, Kasachstans, Armeniens und Kirgistans das Bündnis. Die Präsidenten klärten noch einmal Details des Übergangs von der Zoll- zur Wirtschaftsunion ab dem neuen Jahr sowie die Aufnahme Armeniens und Kirgistans.
Ziel des Wirtschaftsbündnisses ist freier Handel unter den Mitgliedsstaaten, eine Abstimmung der Finanzsysteme, der Industrie- und Agrarpolitik aufeinander sowie eine Regulation der Arbeitsmärkte und Verkehrsnetze. Putin zufolge umfasst die Wirtschaftsunion 170 Millionen Einwohner und eine gemeinsame Wirtschaftsleistung im Wert von 4,5 Billionen Dollar.
Lukaschenko empört sich
Doch ausnehmend harmonisch ist das Verhältnis zwischen den Mitgliedsstaaten derzeit nicht. Mit gegenseitigem Nutzen und Berücksichtung gemeinsamer Interessen ist es nicht weit her, vor allem jetzt, da Russlands Wirtschaft schwächelt angesichts des fallenden Ölpreises, verschleppter Reformen sowie der EU- und US-Sanktionen gegen Russland infolge der Krim-Annexion.
Noch während des Treffens in Moskau warf Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko Putin vor, eben jene Grundsätze nicht einzuhalten, die dieser selbst verkündet hatte. Hintergrund ist ein Streit um die Einfuhr von Agrarprodukten aus Weißrussland nach Russland. Er entstand als Folge des russischen Boykotts von Lebensmitteln aus der EU, den die Regierung in Moskau als Antwort auf westlichen Sanktionen verhängt hatte.
Weißrussland hatte nach Aussage der russischen Landwirtschaftsbehörde insofern vom Boykott profitiert, da es EU-Waren aufkaufte, verarbeitete und nach Russland weiterverkaufte. Einige der verbotenen EU-Lebensmittel wurden lediglich neu verpackt. Besonders auffällig wurde dies bei Fisch und Austern, die der Binnenstaat seit kurzem in großen Mengen nach Russland exportiert.
Die russischen Behörden kontrollierten zunächst schärfer und verhängten schließlich ein Einfuhrverbot auf Agrarprodukte aus Weißrussland. Zur Begründung wurden Gesundheitsbedenken angeführt. Lukaschenko verfügte daraufhin die Wiedereinführung von Zollkontrollen.
Problemfall Rubel
Kam Lukaschenko in diesem Fall eine lukrative Einkommensquelle abhanden, war er einige Tage zuvor erst auf ein anderes Problem infolge der engen Anbindung an Russland eingegangen. Da forderte Lukaschenko, dass Handelsgeschäfte mit Russland wegen der starken Schwankungen des russischen Rubel in Euro oder US-Dollar abgerechnet werden sollen.
Weißrussland liefert etwa 40 Prozent seiner Exporte nach Russland. Die kasachischen Ausfuhren zum nördlichen Nachbarn betragen etwa zehn Prozent. Die Währungen beider Länder hatten in diesem Jahr etwa 40 Prozent gegenüber dem Rubel an Wert gewonnen, was deren Produkte in Russland verteuerte. Sie wurden weniger konkurrenzfähig oder gar zu teuer. Ähnlich ergeht es Armenien mit 19 und Kirgistan mit 15 Prozent Ausfuhren nach Russland.
Weniger Überweisungen aus Russland
Direkt und schmerzhaft spüren Familien in den Ex-Sowjetrepubliken die Wirtschaftskrise, deren Angehörige in Russland arbeiten und mit ihren Überweisungen ihren Verwandten die Existenz sichern. Diese Geldsendungen sind teils beträchtlich. In Kirgistan machen sie nach Angaben der Weltbank 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
In Armenien waren es 2013 der Zentralbank zufolge 16 Prozent, mit steigender Tendenz. Doch allein zwischen Mai und August 2014 registrierte die armenische Zentralbank einen Rückgang der Überweisungen aus Russland um fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da auch die armenische Währung nicht so stark abwertete wie der russische Rubel, verloren die Überweisungen noch dazu beim Umtausch an Wert.
Hinzu kommt, dass die Währungen dieser Länder zwar im Verhältnis zum Rubel verhältnismäßig stark blieben, aber gegenüber dem US-Dollar an Wert verloren. Beim armenischen Dram waren es zum Beispiel 12 Prozent seit Beginn des Jahres, beim kirgisischen Som waren es 15 Prozent. Dies verteuerte Importe, die in US-Dollar abgerechnet werden.
Ähnlich wie in Russland beklagen viele Menschen außerdem, dass Verkäufer diese Teuerungswelle nutzten, um auch die Preise einheimischer Produkte anzuheben. Familien im Südkaukasus und in Zentralasien, die ohnehin schon am Rande des Existenzminimums leben, geraten dadurch noch stärker in Bedrängnis.
So gab es in Armenien und Kirgistan Protest der Opposition und Demonstrationen gegen die schnelle Aufnahme in das Wirtschaftsbündnis zu den Bedingungen Russlands. Denn auch andere Länder haben Interessen im Südkaukasus und in Zentralasien - und verfügen zudem über erhebliche Investitionskraft.
So will der Iran seit langem die Infrastruktur für Verkehr und Energie nach Armenien verbessern. Dies verzögert sich jedoch seit Jahren auch deshalb, weil russische Firmen in Armenien ihre dominante Stellung nicht aufgeben wollen. Türkische Produkte finden sich überall auf Märkten in der Region. China investiert großflächig in die Infrastruktur Zentralasiens und erwächst damit zum großen Konkurrenten Russlands, das in dieser Region weniger, aber gezielter Geld für Projekte ausgibt, die politisch von Bedeutung sind.
Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung Russland derzeit zum weniger attraktiven Partner macht, dominiert die russische Führung weiterhin in politischer und militärischer Hinsicht den Südkaukasus und Zentralasien, die sie als privilegierte Einflusszone deklariert. Die Entwicklung in der Ukraine und der Hinweis auf den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung auch außerhalb der eigenen Grenzen sind da nur zwei Argumente.