Migration über Belarus "Hybrider Angriff auf Lettland"
Mehr als 11.000 Migranten hat Lettland nach eigenen Angaben dieses Jahr schon daran gehindert, aus Belarus kommend die grüne EU-Grenze zu überqueren. Der Grenzschutz beschuldigt Minsk, die Migration zu fördern.
Es ist zurzeit ein täglicher Anblick in der lettisch-belarusischen Grenzregion: Geflüchtete, die in warmer Winterkleidung und mit Koffern durch den Wald stapfen. "Stop! Staatsgrenze" steht dort auf einem orangenen Schild. Es soll die Migranten davor warnen, die Grenze nach Lettland zu überqueren - und damit die in die EU.
"Lettland ist inzwischen das Zielland Nummer eins", sagt Guntis Pujats, Chef des lettischen Grenzschutzes. "Um die Grenzen zu überqueren, nutzen die Menschen Gegenden, in denen noch keine Zäune gebaut sind." Einen durchgängigen Zaun gibt es noch nicht, er ist immer noch im Bau. Vielerorts sind stattdessen nur Stacheldrahtrollen ausgelegt. Die sind aber leichter zu überwinden.
Von Belarus nach Deutschland
Menschenschmuggler helfen den Geflüchteten nach einer Recherche des lettischen Rundfunks, auf der anderen Seite der Grenze mit dem Auto weiterzukommen - oft bis nach Deutschland. Mit einem der Schmuggler haben die Journalisten gesprochen.
Er erzählt ihnen, dass die Schmuggler Fahrer über die Plattform Tiktok anwerben. "Wir brauchen Fahrer, die die Leute von der lettisch-belarusischen Grenze abholen und nach Deutschland fahren", sagt er. "Wir zahlen 1.600 US-Dollar pro Person für den Transport von der Grenze bis nach Deutschland."
"Belarus organisiert Transporte"
Mehr als 11.000 Menschen hat der Grenzschutz nach eigenen Angaben in diesem Jahr schon daran gehindert, die Grenze zu überqueren. Grenzschützer Pujats beschuldigt den belarusischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die Grenze zu bringen. Er spricht von einem "hybriden Angriff" auf Lettland.
"Sie versuchen auch, die Grenze auf dem Fluss Daugava zu überqueren", sagt Pujats. Boote würden dafür auf der belarusischen Seite bereitgestellt. Ein Boot fahre über die Grenze und werde dann zurück nach Belarus gezogen.
"Es ist eindeutig, dass die belarusische Seite diese Transporte organisiert", meint der Grenzschützer. Nicht nur Lettland, sondern auch Litauen und Polen werfen Belarus schon seit knapp zwei Jahren vor, Migranten gezielt an die EU-Grenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben.
Lettland unter Druck
Vor allem in Lettland aber wird dieser Druck immer größer. Deshalb hat das Land zusätzliche Kräfte zum Schutz der 172 Kilometer langen Grenze mobilisiert. "Im September lag die Zahl derjenigen, die wir davon abgehalten haben, die Grenze zu überqueren, bei rund 100 Personen am Tag", sagt Innenminister Rihards Kozlovskis im September im lettischen Fernsehen. "Das sind schon jetzt mehr, als wir für dieses Jahr erwartet haben, und deshalb haben wir 50 Grenzschützer an die grüne Grenze versetzt."
Auch Militär und Polizei helfen bei der Überwachung der grünen Grenze. Um Kapazitäten freizumachen, wurde im September mit dem Kontrollpunkt Silene einer der beiden Grenzübergänge bis auf weiteres geschlossen. "Wir haben Betonblöcke aufgestellt und auf der anderen Seite Stacheldraht", erklärt Offizier Janis Vilkajs. "Hier kommt kein Verkehr mehr durch."
Die Migranten, die der Grenzschutz abfängt, schicken die Beamten zurück nach Belarus. Eine Praxis, die Menschenrechtsorganisationen scharf kritisieren.