Lieferungen an die Ukraine Wie die EU den Munitionsmangel bekämpfen will
Im Abwehrkampf gegen Russland droht der Ukraine die Munition knapp zu werden - sie verfeuert mehr, als im gleichen Zeitraum produziert werden kann. Die EU berät nun über weitere Lieferungen und gemeinsame Einkäufe.
Wochenlang wurde über moderne Kampfjets gesprochen, ob man sie an die Ukraine liefern sollte oder eher nicht. Über hochkomplexe Waffensysteme, die in der Lage sind, noch mehr russische Raketen abzufangen.
Jetzt stellt sich heraus: Die Munition könnte knapp werden für die Waffen, die längst schon an die Ukraine geliefert worden sind. Denn die Ukraine verfeuert täglich viel mehr Munition, als im gleichen Zeitraum von der Rüstungsindustrie produziert wird - die Vorratslager leeren sich also.
Dieser Alarmruf kam aus dem NATO-Hauptquartier. Europa müsse liefern, das fordert auch EU-Chefdiplomat Josep Borrell von Europas Verteidigungsministern, sie müssten vor allem schneller reagieren. Borrell wird den Ministern bei ihrem Treffen in Stockholm einen Plan auf den Verhandlungstisch legen - eine Art To-Do-Liste, wie die Waffenproduktion in Europa angekurbelt werden kann. Dabei geht es um große Mengen Munition, so Borrell - vor allem für Panzer und Artillerie, die brauche die ukrainische Armee dringend.
Gemeinsames Vorgehen bei Nachbestellung
Ganz oben auf der To-Do-Liste für die Verteidigungsminister steht die Aufforderung, Munition aus den eigenen Lagerbeständen an die Ukraine abzugeben - so schnell wie möglich. Dabei geht es nicht um Spenden - die Abgabe wird fast komplett erstattet aus einem Extra-Topf für Waffenlieferungen, der einen bemerkenswerten Namen trägt: Peace Fascility - Friedensfaszilität. Dieser Topf soll für die Munitionslieferungen kurzfristig um eine Milliarde Euro aufgestockt werden
Zweiter Punkt auf der To-Do-Liste der Verteidigungsminister ist die Aufforderung, bei der Nachbestellung von Munition und Waffen künftig gemeinsam vorzugehen. Nationale Alleingänge sollen vermieden werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat schon Hilfe angeboten: Man könne das genauso organisieren, wie in der Corona-Pandemie die gemeinsame Bestellung der Impfstoffe, schlug sie bei der Münchner Sicherheitskonferenz vor.
In der Pandemie hatte von der Leyen zentral mit den Pharmakonzernen verhandelt und feste Abnahmemengen garantiert. So etwas schwebt ihr auch jetzt vor. Die Rüstungsindustrie soll sich auf mehrjährige Lieferverträge für die Munition verlassen können. "Das gibt der Industrie die Möglichkeit, jetzt in Produktlinien zu investieren, um schneller zu sein und um die Liefermenge zu erhöhen", sagte von der Leyen in München.
Offen ist allerdings noch, wer die Rechnung für den zentralisierten Einkauf von Munition bezahlt. EU-Diplomaten berichten, einige Länder wollten den Topf namens Friedensfaszilität weiter aufstocken, andere plädieren für einen Sondertopf.
Noch keine beschlossene Sache
Garantierte Abnahmemengen und möglicherweise auch finanzielle Unterstützung oder günstige Kredite, wie von Teilen der Brüsseler Kommission gefordert - das dürfte für Europas Rüstungskonzerne eine gute Nachricht sein. Allerdings eine, die unter den Verteidigungsministern längst noch nicht beschlossene Sache ist. Kritiker verweisen darauf, dass die Rüstungsunternehmen schon jetzt stark vom Krieg gegen die Ukraine profitiert haben und Hilfsgelder aus Steuermitteln - etwa für neue Produktionshallen - nicht leicht zu rechtfertigen seien.
Deshalb gilt es als wahrscheinlich, dass die Verteidigungsminister sich bei ihrem Treffen in Stockholm zunächst um die beiden ersten Punkte auf der To-Do-Liste kümmern: die schnelle Abgabe von Munition aus den eigenen Beständen an die Ukraine und die gemeinsame Beschaffung von Nachschub.
Einem in der EU-Kommission dürfte das nicht reichen. Binnenmarktkommissar Thierry Breton versucht seit Langem schon, Europas Rüstungsproduktion gezielter aus Brüssel zu steuern. Jetzt in Kriegszeiten sieht er sich bestätigt. Die Rüstungsunternehmen müssen in den "Modus der Kriegswirtschaft" wechseln, erklärte er vor Beginn der Beratungen in Stockholm. Das müsse die EU sich auch etwas kosten lassen. Auch der EU-Haushalt könne genutzt werden, so zitiert die Nachrichtenagentur dpa den Brüsseler Binnenmarktkommissar, außerdem solle die Rüstungsindustrie leichter an Mittel der Europäischen Investitionsbank kommen.