Bulgariens Dauerkrise Auf dem Weg in eine Präsidialrepublik?
Die politische Dauerkrise im Land hat Staatspräsident Radew zur dominierenden Figur in Bulgarien gemacht. Manche wünschen sich jetzt einen Staatsumbau des Landes mit einem starken Mann an der Spitze.
Montag, 23.Januar: Ein Armeehubschrauber fliegt entlang der bulgarisch-türkischen Grenze. An Bord: Der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew und der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer. Radew hatte Nehammer eingeladen, damit sich der Gast von der Qualität der bulgarischen Grenzsicherung überzeugen konnte und in der Hoffnung, dass Österreich bald sein Veto gegen einen Beitritt Bulgariens zum Schengen-Raum aufgeben werde.
Das Bild mit dem Hubschrauber hat Symbolcharakter, denn eigentlich hätte der bulgarische Ministerpräsident dem Besucher die Grenze gezeigt. Doch weil Bulgarien seit zwei Jahren und nach vier Parlamentswahlen immer noch keine Regierung hat, die sich länger als einige Monate im Amt halten kann, ist der Staatspräsident in die Rolle des Regenten gewechselt. So vertritt Radew wie selbstverständlich Bulgarien auf EU-Ebene oder beim NATO-Gipfel mit US-Präsident Biden.
Staatspräsident in der Rolle des Regierungschefs
Wegen der politischen Dauerkrise in seinem Land ist der 59-jährige Radew zum Gesicht Bulgariens geworden. Der ehemalige Kampfpilot und Chef der bulgarischen Luftwaffe "regiert" quasi seit Mai 2021, indem er Übergangsregierungen einsetzt, die selbst keinen großen Handlungsspielraum besitzen. Obwohl sein Ansehen im vergangenen Jahr von 51 Prozent auf nur mehr 36 Prozent gesunken ist, genießt Radew immer noch das größte Vertrauen.
Dass sein Image zuletzt gelitten hat, erklären Beobachter mit seiner Haltung zu Russland und zum Krieg in der Ukraine. So hatte eine Übergangsregierung mit seinem Segen eine Wiederannäherung an den russischen Energiekonzern Gazprom versucht. Radew sprach sich außerdem gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus, weil das aus seiner Sicht bedeuten würde, einen "Brand mit Benzin zu löschen".
Kampagne zur Einführung eines Präsidialsystems
Beeindruckt vom Image des Staatspräsidenten wird darum in politischen Kreisen Bulgariens über einen möglichen Umbau des Landes zu einer Präsidialrepublik diskutiert. Sympathien dafür gibt es vor allem in der Partei mit dem etwas sperrigen Namen "Es gibt so ein Volk" (ITN).
Die Partei sammelt bereits Unterschriften für eine Volksabstimmung zur Einführung eines Präsidialsystems. Chef ist der Entertainer und Medienunternehmer Slawi Trifonov, der aber selbst viel Vertrauen in der Bevölkerung eingebüßt hat. Die Kampagne für ein Präsidialsystem wird auch als Versuch gewertet, selbst wieder mehr Zuspruch zu bekommen.
Mehrheit der Menschen gegen Systemwechsel
Doch die Erfolgsaussichten dürften gering sein. Mit ihrer Erfahrung von 45 Jahren kommunistischer Ein-Personen-Herrschaft bis zur Demokratisierung 1990 haben die Bulgaren keine große Lust auf einen solchen Systemwechsel. Die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter der parlamentarischen Demokratie.
Die Verfassungsrechtlerin Natalia Kiselova erwartet darum auch ein Scheitern der Präsidialkampagne und prophezeit, "sie (die ITN-Partei) werden nicht einmal 200.000 Unterschriften sammeln können, um ein Referendum zu starten, weil es ein kompliziertes Verfahren ist und sie keine klare Vorstellung davon haben, was sie vorschlagen wollen. Sie wird zum Scheitern verurteilt sein."
Das größte Hindernis für einen Systemwechsel dürfte vielleicht sogar Staatspräsident Radew selbst sein. Er will kein Präsidialsystem. Womöglich auch deswegen, weil er nach zwei Amtszeiten gar nicht mehr zu einer Wahl antreten dürfte.
Neuwahlen im April
Nachdem diese Woche der letzte Versuch gescheitert ist, doch noch eine stabile Mehrheit zustande zu bringen, kündigte Radew jetzt an, dass er das Parlament am 3. Februar auflösen und für den 2. April Neuwahlen ansetzen werde. Beobachter erwarten nicht, dass es dann zu klaren Mehrheiten kommen wird. Die Gründe liegen in der Spaltung der bulgarischen Gesellschaft.
Auf der einen Seite steht die langjährige, unter Korruptionsverdacht stehende konservative Regierungspartei GERB ("Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens") von Langzeitpremier Bojko Borissow. Sie wurde bei den Wahlen im Oktober mit mehr als 25 Prozent der Stimmen stärkste Partei. Auf der anderen Seite steht die Reformpartei PP ("Wir setzen den Wandel fort") des letzten Premiers Kyril Petkow. Die PP bekam zuletzt etwas mehr als 20 Prozent. Doch für die Bildung einer stabilen Regierung ohne GERB ist sie noch zu schwach.
Beobachter sprechen von "Sackgasse"
Die Lage scheint verfahren. Der Politologe Slawi Wassilew spricht von einem kaputten politischen Dialog, weswegen keine Bewegung möglich sei. Das Land, so Wassilew, "steuert eindeutig auf eine Sackgasse zu. Ich bin sicher, dass wir uns bei den nächsten vorgezogenen Wahlen wieder in der gleichen Sackgasse wiederfinden werden". Schon jetzt wird über Wahlen im Herbst 2023 diskutiert. Dann wird auch in den Gemeinden gewählt.
Dort dominiert GERB und sie könnte spekulieren, dass sie eine Kombination aus Gemeinde- und Parlamentswahlen zurück an die Macht bringt. Beobachter sehen einen Ausweg darin, dass sich Reformer und Konservative verbünden, um die Blockade zu überwinden.
Die Analystin Mira Badzhewa plädiert für eine Koalition aus Reformpartei PP, der rechtskonservativen Partei DB ("Demokratisches Bulgarien") und GERB. Doch bis es soweit ist, wird vermutlich der Staatspräsident weiter Bulgariens Geschicke lenken.