Särge in der Kirche San Giuseppe in Seriate, Italien

Corona-Ausbruch in Bergamo 2020 "Wir haben unsere Liebsten ersticken sehen"

Stand: 31.01.2025 09:24 Uhr

Zu Beginn der Corona-Pandemie war die italienische Region rund um Bergamo besonders betroffen. Bei den Angehörigen der Opfer kommen schmerzhafte Erinnerungen hoch. Fünf Jahre später kämpfen sie noch immer um Aufarbeitung.

Noch schnell eine Kundin bedienen, dann erst hat Salvatore Mazzola Zeit, sich zu erinnern. Die Bäckerei geht vor. Hier in seinem kleinen Ladengeschäft in Nembro in der Nähe von Bergamo hat er damals, zu Beginn der Corona-Pandemie, die meiste Zeit verbracht. "Es war schrecklich, es war eine Spannung zu spüren, ein gespenstisches Schweigen. Man hat sich angeschaut und gefragt: Wer ist der nächste?"

Während dieser Zeit habe er zunächst im Untergeschoß geschlafen. Doch als sein Vater ins Krankenhaus kam, habe er die Liege rauf in die Bäckerei gebracht, um dort zu schlafen. Denn im Keller gab es keinen Empfang für das Telefon. "Weil klar war, jeden Moment konnte der Anruf kommen."

Karte: Italien mit der Region Bergamo und der Gemeinde Nembro

Der Anruf, auf den so viele in Bergamo und Umgebung warteten. Damals, als die Särge der Corona-Toten aus Bergamo mit Militärtransportern durch halb Italien transportiert wurden, weil das Krematorium überlastet war. Der Anruf, von dem jeder hoffte, dass das Telefon nie läuten würde - und der viel zu oft doch kam.

Auch bei Salvatore Mazzola. Sein Vater, der aus Sizilien zu Besuch bei ihm und den Enkeln war, ist damals gestorben - an Corona. Sein Tod hätte verhindert werden können, wenn die Behörden und die politisch Verantwortlichen mehr getan hätten, glaubt Mazzola. Auch deshalb kann er bis heute nicht abschließen, ist wütend. Und verlangt Gerechtigkeit.

Militärlastwagen, die Särge von Verstorbenen transportieren, verlassen den Friedhof von Bergamo.

Mit Militärlastwagen wurden die Leichen damals abtransportiert.

Kampf um juristische Aufarbeitung

Zusammen mit anderen Familien, die Angehörige verloren haben, kämpft er für eine juristische Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen. Sie alle hätten gerne striktere Maßnahmen gehabt, mehr Einschränkungen, schnellere Ausgangssperren für die Menschen in und um Bergamo zu Beginn der Pandemie.

Vertreten werden sie von Anwältin Consuelo Locati. Sie sagt: "Hier in Bergamo gab es ungefähr 4.300 Tote, die man hätte vermeiden können, wenn man sofort gehandelt hätte und eine rote Zone eingerichtet hätte." Dann wären die betroffenen Dörfer und Bergamo abgeriegelt worden. "Das ist nicht geschehen, aus wirtschaftlichen Gründen. Die Wirtschaft war wichtiger als die Gesundheit der Bürger." Die Region Bergamo ist einer der wirtschaftlichen Motoren Italiens. Hier haben sich Chemie- und Baumaterialfirmen und Forschungsinstitute angesiedelt.

Und: Der nationale Pandemieplan sei weder aktuell gewesen noch angewandt worden, kritisiert die Anwältin. Gerade in Bergamo und Umgebung hätte man zum Beispiel sofort Kontakte nachverfolgen müssen. Denn die Stadt, die später wegen der vielen Toten "Wuhan des Westens" genannt wurde, hat enge wirtschaftliche Verbindungen mit dem echten Wuhan in China - der Stadt, aus der das Virus kam.

Ein Bild aus dem Frühjahr 2020: Ein Mann bringt in Bergamo medizinischen Sauerstoff zu Patienten, die zu Hause behandelt werden.

Hilfe für Patienten, die daheim behandelt werden: Ein Mann liefert in Bergamo medizinischen Sauerstoff aus.

Keine Verabschiedung, keine Beerdigung

Aber es geht Anwältin Locati und den Familien nicht nur darum, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. "Moralisch ist uns wichtig, diesen aufgestapelten Körpern ihre Würde wiederzugeben, denen sogar die Würde einer Bestattung verweigert wurde." Denn es hätten keine Beerdigungen gemacht werden können. "Wir haben uns nicht einmal von all unseren Lieben verabschieden können. Viele von unseren Angehörigen sind auf den Militärtransportern gelandet, die sie wegtransportiert haben, damit sie verbrannt werden."

Auch der Vater der Anwältin war auf einem dieser Lastwagen. Es ist ihr in diesem Moment anzusehen, dass sie auch Betroffene ist. "Ich glaube, dass das, was wir erlebt haben, menschlich undenkbar ist." Es sei ein "übermenschlicher Albtraum" gewesen. "Wir haben unsere Liebsten ersticken sehen und wir wussten nicht warum. Wir wussten nicht, wie wir ihnen helfen sollten. Es fehlte an allem. Wir waren allein, alle hatten uns verlassen."

Ein Mann berührt den Sarg seiner Mutter bei einer Beerdigung nahe Bergamo

Eine Beerdigung der Corona-Toten gab es nicht immer.

Ermittlungen werden wieder aufgenommen

Und verlassen gefühlt haben sie, die Betroffenen und ihre Anwältin, sich auch nach der ersten Phase der Pandemie, als es um die Aufarbeitung gehen sollte. Es sei immer versucht worden, alles unter den Teppich zu kehren. Ermittlungen seien eingestellt worden. Man habe versucht, ihr als Anwältin die Kompetenz abzusprechen, sagt Locati.

Doch ihr Kampf scheint sich gelohnt zu haben: Die Ermittlungen zu möglichen Fehlern beim Umgang mit der Pandemie sollen jetzt wieder aufgenommen werden. Möglicherweise müssen die Verantwortlichen doch noch vor Gericht.

Für Salvatore Mazzola, den Bäcker, der seinen Vater verloren hat, ist das ein erster Schritt: "Wir kämpfen weiter, um unseren Lieben ihre Würde wiederzugeben. Und vor allem so lange, bis sie die Fehler anerkennen, die sie gemacht haben. Damit man sie später nicht wieder macht. Das ist für unsere Kinder, für die zukünftigen Generationen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 31. Januar 2025 um 05:45 Uhr.