Draghi zu Gletscherunglück "Heute weint Italien"
Nach dem Gletscherunglück in den Dolomiten mit sieben Toten wird die Suche nach den Vermissten immer schwieriger. Die Bergung könnte Wochen dauern, hieß es. Italiens Regierungschef Draghi drückte vor Ort seine Anteilnahme aus.
Nach dem Gletscherabbruch in Italien suchen zahlreiche Einsatzkräfte weiter nach Verschütteten. Die Zahl der Vermissten sank von 14 auf 13. Das österreichische Konsulat habe einen vermissten Landsmann kontaktieren können, teilten die Behörden des Trentino mit. Ob er am Unglückstag auf dem Berg war und sich selbst in Sicherheit brachte, war einem Sprecher zufolge noch nicht klar.
Die weiteren Vermissten wurden von ihren Angehörigen gemeldet, weil sie keine Nachrichten mehr von ihnen erhielten. Das erklärte der Regionalpräsident von Trentino-Südtirol, Maurizio Fugatti, in Canazei am Fuße des Berges Marmolata, an dem Massen aus Eis und Geröll mehrere Bergsteiger am Sonntag verschüttet hatten.
Draghi: Maßnahmen ergreifen
Italiens Regierungschef Mario Draghi besuchte die Region und machte sich ein Bild von dem Unglück. Er sieht Handlungsbedarf, um ein solches Unglück in Zukunft zu vermeiden. "Die Regierung muss darüber nachdenken, was passiert ist und Maßnahmen ergreifen", sagte Draghi in Canazei.
"Heute weint Italien um die Opfer", sagte Draghi. Er dankte außerdem den Einsatzkräften und drückte den Familien der Toten, Vermissten und Verletzten seine Anteilnahme aus. In Canazei hatte Draghi auch Angehörige der Opfer getroffen. Draghi kam wegen eines Gewitters mit großer Verspätung nach Canazei, weil sein Hubschrauber nicht landen konnte.
Zahl der Todesopfer bei sieben
Die Zahl der Todesopfer liegt inzwischen bei sieben. Vier von ihnen seien identifiziert, es soll sich nach Medienberichten um drei Italiener und einen Tschechen handeln. Acht Bergsportler konnten verletzt gerettet worden, darunter auch zwei Deutsche. Demnach handelt es sich um einen 67-jährigen Mann und eine 58-jährige Frau. Beide würden eng überwacht. Ob sie überleben, sei ungewiss.
Die Behörden suchten weiter nach den Haltern von vier Autos mit ausländischen Kennzeichen - darunter auch ein deutsches. Diese parkten auf dem Stellplatz, den in der Regel die Bergsteiger nutzen, die Richtung Marmolata-Gipfel wandern.
Eis- und Gesteinsbrocken erschweren die Suche
Da nach dem Gletscherabbruch riesige Mengen an Eis und Gestein in Fels- und Gletscherspalten gerutscht seien, könnte es Wochen oder sogar noch länger dauern, bis alle Verschütteten gefunden und geborgen werden. Das sagte Maurizio Dellantonio, der Präsident der italienischen Bergrettung.
Die Felsspalten sollten noch im Sommer freigelegt werden, auch dank des schmelzenden Eises, sagte er voraus. "Falls aber jemand im oberen Bereich des Berges in Gletscherspalten gestürzt ist, dann wird es schwierig", sagte Dellantonio.
"Es ist aktuell nicht möglich, zu graben, weil die Masse an Eis sich schon so festgesetzt hat und hart geworden ist", sagte Dellantonio. "Das ginge nur mit mechanischem Gerät, aber das können wir nicht hoch bringen." Weil die Gefahr besteht, dass sich weitere Eisbrocken lösen und abstürzen, dürfen vorerst keine Retter mehr die Flanke des Berges betreten.
Drohnenflüge am Unglücksort
Für die Suche kommen Drohnen mit Wärmebildkameras zum Einsatz. Mit diesen wird nach menschlichen Körpern und Material gesucht. Das Eis sei teilweise bis zu zehn Meter dick, sagte der Bergretter.
Die Chancen, noch Überlebende zu finden, lägen bei "fast null", sagte Giorgio Gajer von der Bergrettung der italienischen Nachrichtenagentur AGI.
Die Sucharbeiten mussten zeitweise wegen des schlechten Wetters unterbrochen werden. Ohnehin schickten die Einsatzkräfte keine Leute mehr direkt auf den Lawinenkegel, weil sie befürchteten, dass weitere Gletscherstücke wegbrechen könnten. Ein Brocken von 200 Metern Breite, 60 Metern Höhe und 80 Metern Tiefe hänge gefährlich über dem Abhang, teilte der Zivilschutz mit.
Wissenschaftler: Ungewöhnlich warmes Wetter
Der Marmolata-Gletscher ist der größte Gletscher in den Dolomiten und befindet sich auf der Nordseite der Marmolatagruppe, die in den Provinzen Trient und Belluno liegt. Die Eisplatte brach in der Nähe von Punta Rocca an der Aufstiegsroute zum Gipfel. Filmaufnahmen, die von einer nahegelegenen Berghütte gemacht wurden, zeigen mit Felsbrocken vermischte Schneemassen, die mit ohrenbetäubendem Lärm ins Tal herunterrasten. Wie viele Menschen sich zum Zeitpunkt des Unglücks in der Umgebung des Gletschers aufgehalten hatten, ist weiter unbekannt, wie die Sprecherin der Rettungskräfte, Michela Canova, AFP sagte.
Die italienischen Medien sprechen von der größten Katastrophe dieser Art, die es je in den Alpen gegeben hat.
Der Geologe Massimo Frezzotti von der Universität Rom Drei sagte AFP, der Gletscherbruch sei durch ungewöhnlich warmes Wetter als Folge des Klimawandels erfolgt. Am Tag vor dem Unglück war eine Rekordtemperatur von zehn Grad auf dem Gipfel des Gletschers gemessen worden.
Messner: Folge des Klimawandels
Der bekannte Bergsteiger Reinhold Messner sagte, der Gletschersturz an der Marmolata sei die Folge des Klimawandels und der Erderwärmung. Diese, so Messner, würden die Gletscher "wegfressen". Die Veränderungen an den Gletschern der Alpen in den vergangenen Jahren seien dramatisch, meint auch Bergführer Cesare Pastore. Seinen Kollegen, die gestern Bergsportler die Marmolata hinaufgeführt haben, will Pastore aber keinen Vorwurf machen.
Der Weltklimarat IPCC zählt die Gletscher- und Schneeschmelze zu den zehn schwersten Bedrohungen durch die Erderwärmung. Bis zum Jahrhundertende könnten die Gletscher in Skandinavien, Zentraleuropa und im Kaukasus demnach zwischen 60 und 80 Prozent an Masse verlieren.
Mit Informationen von Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom