Drogenhandel in Antwerpen Angst vor niederländischen Verhältnissen
In der belgischen Hafenstadt Antwerpen beherrschen Drogenhandel und kriminelle Gangs ganze Straßenzüge. Sogar der Bürgermeister ist pessimistisch. Er fordert einen Plan von der Regierung.
Ein bärtiger schwarzgekleideter Mann mit Basecap gibt mehrere Pistolenschüsse ab, ein anderer mit Kapuzenpulli filmt ihn mit dem Handy, beide werden von einer Überwachungskamera aufgenommen. Bilder aus dem Norden Antwerpens von vergangener Woche, die zeigen, wie unbekümmert Mitglieder von Drogenbanden mittlerweile in der belgischen Hafenstadt auftreten.
90 Tonnen Kokain im Jahr 2021
Sprengstoffanschläge, Schießereien - seit Juni hat die Polizei gut 30 Gewalttaten im Drogenmilieu festgestellt, mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Kriminalpolizeidirektor Yve Driesen spricht im Sender vrt von einer Spirale der Gewalt, angetrieben von viel Geld. 90 Tonnen Kokain hat die Polizei 2021 im Hafen sichergestellt. Der Marktwert betrug 4,5 Milliarden Euro.
"Wenn man rechnet, dass wir rund 10 bis 20 Prozent des Kokains beschlagnahmen, dann kommen 80 bis 90 Prozent durch - wir sprechen hier also über gigantische Summen", sagt Driesen. "Geschätzt über 40 Milliarden Euro in einem Jahr."
Im ersten Halbjahr 2022 beschlagnahmte der belgische Zoll rund 36 Tonnen Kokain.
Drogenbanden mit extrem viel Geld
Zwar vermeldet die Polizei spektakuläre Fahndungserfolge, weil sie die Verschlüsselungssoftware Sky ECC knacken konnte, die kriminelle Banden nutzten. Aber Zolldirektor Kristian Vanderwaeren betont: "Auch wenn man diese besonderen Ergebnisse herausrechnet, stellt man einen jährlichen Anstieg beim Kokain fest. Die Operation Sky ECC hatte einen enormen Effekt, weil viel Kokain aufgehalten, viele Menschen verhaftet wurden. Aber die Schlussfolgerung ist: Der Handel mit illegalen Drogen geht weiter, deshalb müssen wir mehr investieren und das zur Priorität erklären."
"Die Drogenbanden sitzen auf einem Berg von Geld", sagt Antwerpens Polizeidirektor Driesen, "sie können sich die besten Anwälte und Steuerfachleute leisten und verfügen über das Potenzial, die ganze Gesellschaft zu unterwandern. Wir sehen, dass Korruption alle Bereiche durchdringt: Polizei, Justiz, private Firmen, Zoll - spielt keine Rolle. Überall gibt es Menschen, die sich vom Geld verführen lassen."
"Finanziers und Entscheider der kriminellen Organisationen"
Bürgermeister Bart De Wever von der rechtsnationalistischen Partei N-VA schlägt Alarm. Er fordert von der belgischen Regierung einen Plan zum Kampf gegen die Drogenmafia - ähnlich wie nach den Terroranschlägen 2016.
Polizeidirektor Driesen sagt: "Ich sehe kein Problembewusstsein, und das frustriert mich unglaublich. Bei islamistischem Terror steht das Land still, aber wenn in Antwerpen geschossen wird, dann hat der Bürgermeister ein Problem."
Nach den Worten von Driesen sitzen die Bandenbosse nicht länger nur in den Niederlanden. Antwerpens Drogenmafia holt auf. "Typen, die hier in dieser Gegend groß wurden, sind zu Finanziers und Entscheidern der kriminellen Organisationen aufgestiegen. Sie haben das Sagen. Wir wissen sogar von Leitern, die so weit oben sitzen, dass sie auch anfangen, die niederländischen Bosse zu lenken."
"Noch viel Schlimmeres erleben"
In betroffenen Stadtvierteln wächst die Angst. Antwerpen blickt mit Sorge nach Norden, wo niederländische Banden sich für so unangreifbar halten, dass sie ihre Fehden öffentlich austragen und vor gut einem Jahr mutmaßlich den Journalisten Peter de Vries ermorden ließen.
Bürgermeister de Wever ist pessimistisch: "Höchstwahrscheinlich werden wir noch viel Schlimmeres so wie in den Niederlanden erleben. Morde aus Versehen, Morde an Angehörigen und in der Oberschicht. Selbst wenn morgen ein abgespeckter Plan kommt, braucht es Jahre, bis das Monster so gezähmt ist, dass man es auf den Straßen wirklich merkt."
Umso überraschender de Wevers Bilanz trotz der sommerlichen Gewaltserie: Antwerpen, sagt der Bürgermeister, sei die sicherste Metropole Belgiens.