Neue Gaspipeline Polen eröffnet "Baltic Pipe"
Polen will mehr Gas aus dem Norden importieren - dafür wird heute die neue Pipeline "Baltic Pipe" eröffnet. Doch noch vor wenigen Tagen war fraglich, ob über das Milliardenprojekt tatsächlich Gas fließen wird.
900 Kilometer Röhre, davon ein Drittel am Grund der Ostsee - für Polen 900 Kilometer Unabhängigkeit. Wenn die "Baltic Pipe" eröffnet wird, das hat der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki schon im Frühjahr nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine betont, dann geht es für Polen um deutlich mehr als nur ein neues Infrastrukturprojekt.
"Man hat versucht, das Projekt zu behindern, aber es wurde umgesetzt - und jetzt zeigt sich, wie wichtig diese Infrastruktur ist, die uns vom russischen Erpresser, der die Pistole an den Kopf des Westens hält, unabhängig macht", betonte Morawiecki. Polen war im April das erste Land, dem russische Gasimporte verweigert wurden, als Warschau die Rechnung nicht wie von Moskau gefordert in Rubel begleichen wollte.
Von der bestehenden "Europipe", die Gas aus Norwegen nach Deutschland liefert, zweigt jetzt ein Rohr nach Osten ab - durch Dänemark bis an die polnische Ostseeküste nördlich von Stettin. Kostenpunkt: 1,6 Milliarden Euro, je zur Hälfte finanziert durch Dänemark und Polen und mit 250 Millionen Euro gefördert durch die Europäische Union.
Ein Zeichen des Misstrauens - auch gegenüber Deutschland?
Warschau hatte sich schon lange vor dem russischen Angriff bemüht, andere Quellen für die Gasversorgung des Landes zu erschließen - nicht nur aus Misstrauen gegenüber Russland, sagt der Energieexperte Piotr Maciążek:
Die 'Baltic Pipe' ist auch ein Symbol des Misstrauens zwischen Deutschland und Polen. Deutschland kann direkt aus Norwegen importieren, also hätte Polen norwegisches Gas über Deutschland organisieren können. Warum haben also die Polen eine Pipeline gebaut, die Deutschland umgeht? Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem Deutschland eine Pipeline gebaut hat, die Polen umgeht.
Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 - für Polen immer schon das Signal, lieber selbst vorzusorgen: mit einem Flüssigerdgasterminal in Swinoujiscie (Swinemünde), mit europäischen Verbindungspipelines nach Litauen oder der Ende August eröffneten Pipeline in die Slowakei. Und jetzt eben die "Baltic Pipe".
Eine Pipeline ohne Lieferverträge
15 Jahre, nachdem die ersten Verträge unterschrieben wurden, können ab Anfang Oktober bis zu zehn Milliarden Kubikmeter Gas aus Norwegen nach Polen fließen, was etwa der Hälfte des polnischen Jahresbedarfs vor der Energiekrise entspricht - in der Theorie. Praktisch war bis wenige Tage vor der Eröffnung nicht klar, ob und wie viel Gas überhaupt fließen wird. Denn Polen hat sich eine Pipeline gebaut, aber keine Lieferverträge abgeschlossen, bemängelt Marek Józefiak von Greenpeace Polska. Er warnt:
Unsere Analytiker haben sich den Gasmarkt in Europa und Polen, auch die Lagerbestände und Lieferverträge angesehen. Wenn der polnische Gasversorger PGNiG nicht noch vor der Heizsaison weitere Verträge abschließen kann, werden uns schon im Dezember 40 Prozent der Gasversorgung fehlen.
Wenige Tage vor der "Baltic Pipe"-Eröffnung kam dann die Nachricht: Der norwegische Versorger Equinor wird jährlich 2,4 Milliarden Kubikmeter Gas liefern. Zusammen mit den geschätzt drei Milliarden Kubikmetern, die Polen selbst im norwegischen Schelf fördern möchte und den Flüssigerdgasimporten soll das den polnischen Bedarf decken, verspricht die Regierung. Sonst sieht Energieexperte Maciążek nur eine Lösung, und zwar eine schmerzhafte: Die Gaspreise seien so hoch, sagt er, dass in diesem Winter der Verbrauch vermutlich von allein zurückgehen werde.