Erdogan besucht Griechenland Auf Wohlfühl-Kurs
Der türkische Präsident Erdogan ist zu Gesprächen nach Griechenland gereist. Beide Länder hatten sich lange angefeindet, nun stehen die Zeichen auf Entspannung. Kritische Themen wurden eher am Rande benannt.
Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan beim griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis eintrifft, sprechen Gestik und Mimik für sich: Mitsotakis lächelt Erdogan zu, beide schütteln sich auffällig lang die Hände auf dem roten Teppich.
Für kurze Zeit kommt aus Mitsotakis' Amtssitz nach dem gezielten Wurf eines Leckerlis ein kleiner Hund heraus, wedelt freundlich mit dem Schwanz. Ein krasser Kontrast: Noch vor einem Jahr hatte Erdogan gedroht: Mitsotakis existiere für ihn nicht mehr. Und: Man könne mitten in der Nacht kommen. Eine militärische Drohung, die Mitsotakis dazu verleitete, Erdogan als "gefährlich" zu bezeichnen.
"Verbunden durch Solidarität und Menschlichkeit"
Jetzt in Athen stehen die Zeichen auf Entspannung. Im Vorfeld hatte Erdogan von seinem "Freund Kyriakos" gesprochen. Und als er am Vormittag zunächst mit Griechenlands Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulpou zusammenkommt, legt er nach. Er glaube an eine neue, erstarkende Ära zwischen der Türkei und Griechenland. Eine große Gesandtschaft an Ministern wolle jetzt sinnvoll zusammenarbeiten. Es sei zukünftig besser, das Glas halb voll als halb leer zu sehen, so Erdogan weiter.
Sakellaropoulou unterstreicht: Angesichts der Krisen und Kriege um uns herum sei es mehr denn je notwendig, dass Griechenland und die Türkei zusammenarbeiteten. Beide Länder seien verbunden durch Solidarität und Menschlichkeit. Das habe dieses Jahr gezeigt: Erst das schwere Erdbeben in der Türkei vom Februar - und griechische Helfer, die zu den ersten vor Ort gehören. Dann die schweren Waldbrände im Sommer in Griechenland - türkische Feuerwehrleute packen mit an. Klar gebe es Themen, bei denen beide Länder unterschiedliche Herangehensweisen hätten, so Sakellaropoulpou. Umso wichtiger sei es jetzt, das konstruktive Klima aufrechtzuerhalten und zu festigen.
Die kritischen Themen sind etwa der Konflikt um Hoheitsrechte in der Ägäis und die Frage, wem Erdgasvorkommen unter dem Meeresboden zustehen. Erdogan betont: Man wolle im konstruktiven Dialog und im Rahmen des Völkerrechts die Probleme lösen und die Ägäis zu einem friedlichen Meer machen. Wenn selbst Geschwister ab und zu unterschiedlicher Meinung seien, so Erdogan, dann sei das bei zwei benachbarten Ländern ganz natürlich. Entscheidend sei, ob sie den Willen haben, die Meinungsverschiedenheiten auszuräumen.
Zusammenarbeit beim Thema Migration
Im Vordergrund stehen beim Treffen eine ganze Reihe an Kooperationsvereinbarungen - ausgearbeitet und unterzeichnet von den jeweiligen Ministerien. Es geht um mehr wirtschaftlichen Handel, mit einem Volumen von rund zehn Milliarden US-Dollar. Um erleichterte Visa für türkische Touristen, die auf griechische Inseln wollen.
Und weit oben auf der Agenda: das Thema Migration. Diesen Sommer sind wieder sehr viele Flüchtlinge von der Türkei auf die griechischen Inseln gekommen. Zuletzt, betont Mitsotakis, seien es aber wieder deutlich weniger gewesen. Das liege daran, dass Griechenland seine Land- und Seegrenzen systematisch überwache. Und dass beide Länder jetzt viel besser zusammenarbeiten würden mit Polizei und Küstenwache. Diese Zusammenarbeit könne und müsse noch weiter verbessert werden, so Mitsotakis.
Die jetzige Kooperation in der Flüchtlingspolitik ist vor allem deshalb interessant, weil das EU-Türkei-Abkommen zur Migration von 2016 brüchig ist und die Türkei seit 2020 keine Flüchtlinge mehr von griechischen Inseln zurücknimmt, wie eigentlich vorgesehen.
Im besten Fall pragmatischer Umgang
Erdogan dürfte selbst daran gelegen sein, die Flüchtlingsströme durch sein Land zu unterbinden. Denn immer mehr Türkinnen und Türken sind unzufrieden mit der hohen Zahl an Geflüchteten im Land. Beobachter glauben: Mit der neuen, freundschaftlichen Linie könnte Erdogan auch versuchen, die schwierigen Beziehungen zum Westen zu kitten. Zuletzt hatte Erdogan etwa die Hamas als "Befreier" gelobt.
Am Ende des Treffens steht eine gemeinsame Erklärung für "gute nachbarschaftliche Beziehungen". Erdogan und Mitsotakis können derzeit vielleicht auch deshalb offener aufeinander zugehen, weil sie beide gerade wiedergewählt sind - also eine ganze Amtszeit vor sich haben und nicht gegen den Nachbarn poltern müssen, um auf Stimmenfang zu gehen. Das nächste Treffen der beiden soll nicht erst wieder nach sechs Jahren stattfinden, sondern bereits im kommenden Frühjahr, heißt es. Dann will Mitsotakis nach Ankara reisen und den neuen Weg mit Erdogan fortsetzen. Echte Freundschaft dürfte dabei nicht mehr entstehen. Aber im besten Fall ein pragmatischer Umgang miteinander, der Bestand hat.