Widerstand gegen EU-Richtlinie Warum der Schutz von Frauen nicht vorankommt
Frauen sollen in der EU besser vor Gewalt geschützt werden. Eine Richtlinie dafür liegt längst vor, aber einige Staaten sagen Nein - auch Deutschland. 100 Frauen fordern in einem offenen Brief ein Ende der Blockade.
"Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind keine Privatsache, sie sind ein gesellschaftliches Problem", sagte EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli vor fast zwei Jahren. Und ein Problem, das EU-weit einheitlich angegangen werden sollte.
Mit diesem Ziel war die EU-Kommission am 8. März 2022 gestartet, dem Internationalen Weltfrauentag. "Heute verabschiedet die Europäische Kommission deshalb einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt", erklärte Dalli damals.
Konkret heißt das: Gewisse Delikte sollen europaweit einheitlich unter Strafe gestellt werden. Darunter auch Taten aus dem stetig wachsende Bereich der digitalen Gewalt gegen Frauen, wie Cyberstalking - also das Verfolgen, Belästigen und Einschüchtern im Netz. Oder auch das ungefragte Bombardieren mit intimen Bildern - wie zum Beispiel das Umherschicken von "Dickpics", also Penisfotos.
Zentrales Element der geplanten EU-Richtlinie ist wohl der Tatbestand der Vergewaltigung. Er soll EU-weit vereinheitlicht werden, nach dem Einwilligungsansatz "Nur ja heißt ja".
Deutschland hat bei Regelung Bedenken
Nein, sagt aber bisher Deutschland im Rat der 27 EU-Staaten. Juristische Bedenken stehen im Weg. Die EU könnte ihre Kompetenzen überschreiten und der Europäische Gerichtshof eine solche Regelung im Nachhinein kippen, argumentiert Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er folgt damit der Lesart, wonach die EU nur im Bereich der als EU-Straftat eingeordneten Verbrechen einheitliche Mindeststandards und vor allem Mindeststrafen vorschreiben darf.
Der Katalog der EU-Straftaten umfasst besonders schwere, häufig grenzüberschreitenden Kriminalität - darunter Terrorismus, Geldwäsche, Menschenhandel. Vergewaltigung steht bisher nicht auf dieser Liste.
Schutz der Frauen solle oberste Priorität sein
Der Europaabgeordnete Maria Noichl (SPD) kennt diese Argumentationsgrundlage - es gebe aber auch andere. "Herr Buschmann beruft sich darauf, dass es ein Papier des EU-Rates gibt, das sagt: 'Das dürfen wir nicht.' Wir als Parlament und auch die Kommission berufen sich aber auf andere juristische Papiere, die eindeutig und klar machen, das wäre möglich."
Noichl erwartet von Buschmann Flexibilität. Er solle zwischen diesen beiden juristischen Papieren vermitteln und deutlich machen: Der Schutz der Frauen hat oberste Priorität.
Denn in vielen EU-Staaten ist das nicht der Fall. In 14 Ländern müssen Frauen noch nachweisen, dass es zu konkreter Gewalt oder Androhung von Gewalt kam, damit man von Vergewaltigung sprechen kann. "An allererster Stelle sind Ungarn und Polen zu benennen - wir haben aber natürlich auch Länder im Baltikum oder Länder vor allen Dingen im Osten der Europäischen Union, die hier noch mal deutlich nachbessern müssen", sagt Noichl. Es dürfe nicht vom Geburtsort der Frauen abhängig sein, wie viel Schutz ihnen zustehe oder eben nicht.
Deutschland fehle Mut und politischer Wille
Nur in 13 Staaten gibt es ein Gesetz, nach dem Vergewaltigung definiert ist als "Sex ohne Zustimmung" - das schließt also auch Fälle ein, in denen Frauen durch Drogen oder Alkohol gezielt wehrlos gemacht werden oder ein Nein nicht ernst genommen wird. Deutschland hat sein "Nein heißt nein" seit mehr als sieben Jahren im Gesetzbuch stehen. Bei Verstoß drohen sechs Monate bis fünf Jahre Haft.
Das sollte erst recht ermuntern, sich für europaweite Standards einzusetzen, betont Noichl. "Es geht auch um die Frage: Wie setzt sich Deutschland für europäische Werte ein? Das ist auch eine Verpflichtung. Aber da fehlt momentan offenbar der Mut und anscheinend der politische Wille."
Fest steht: Auch Frankreich, ein Land, das bei Frauenrechten meist progressiv auftritt - etwa bei der Gesetzgebung hinsichtlich Prostitution -, blockiert das Gesetz derzeit. Erreichen die Mitgliedsstaaten auch im kommenden Monat keine Einigung, wird es vor den Europawahlen wohl nichts mehr.
Offener Brief an Buschmann und Bundesregierung
Mit einem offenen Brief wollen 100 Frauen aus Politik, Kultur und Wirtschaft nun den Druck auf Buschmann und die Bundesregierung erhöhen. Initiiert wurde das Schreiben vom Centre for Feminist Foreign Policy, einer Forschungs- und Beratungsorganisation für feministische Außenpolitik. Zu den beiden Erstunterzeichnerinnen gehören Luisa Neubauer von Fridays for Future und die deutsche Journalistin und Filmemacherin Düzen Tekkal.
Die Autorinnen warnen, dass am Streit um den Vergewaltigungstatbestand die ganze EU-Richtlinie scheitern könnte - und damit die erste umfassende Initiative in der EU zum Schutz von Frauen vor männlicher Gewalt. Vor allem mit Blick auf radikal rechte Tendenzen in mehreren EU-Ländern sei es wichtig, die Blockadehaltung vor der Europawahl aufzugeben.