EU-Sondergipfel Noch keine Einigung über Spitzenjobs
Eigentlich gilt die zweite Amtszeit von EU-Kommissionschefin von der Leyen als sicher. Doch der Poker um die Neubesetzung der EU-Spitzenjobs dauert an. Gestritten wird wohl über das Amt des Ratspräsidenten.
Der EU-Sondergipfel ist ohne Einigung auf die Vergabe der europäischen Spitzenjobs zu Ende gegangen. "Es war ein gutes Gespräch, das in die richtige Richtung geht, denke ich. Aber es gibt heute Abend noch keine Einigung", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel in der Nacht.
Ursula von der Leyen kann sich damit noch nicht ganz sicher sein, ob sie von den Staats- und Regierungschefs für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin nominiert wird. Beim regulären EU-Gipfel Ende der kommenden Woche werde es "mehr Klarheit" geben, betonte Michel.
Breite Zustimmung für von der Leyen
Die gesamteuropäischen politischen Parteien hätten Vorschläge für die Posten gemacht, sagte Michel. Es müsse noch weiter an einer Einigung gearbeitet werden. Details zu den Vorschlägen nannte er nicht.
Bei dem Gipfel ging es unter anderem um eine zweite fünfjährige Amtszeit für von der Leyen. Der kroatische Regierungschef Andrej Plenkovic sagte nach den Beratungen, er habe keine Stimme gehört, die ihre Position in Frage gestellt hätte. Vor dem Gipfel hatte von der Leyen viel Zuspruch bekommen. Eine Reihe von Staats- und Regierungschefs bescheinigten der CDU-Politikerin öffentlich, in den vergangenen fünf Jahren einen "sehr guten Job" gemacht zu haben - darunter auch solche, die nicht ihrem politischen Lager angehören.
Streit über Amtszeit des EU-Ratschefs
Knackpunkt der Verhandlungen ist offenbar die Nachfolge Michels als Ratspräsident. Nach Angaben von Diplomaten wollte die Parteienfamilie EVP mit den Parteien CDU und CSU erreichen, dass die Besetzung des Amtes nicht sofort für fünf Jahre geregelt wird. Dies würde bedeuten, dass sie theoretisch nach zweieinhalb Jahren Anspruch auf das Amt erheben könnte. Die Sozialdemokraten lehnten dies den Angaben zufolge ab.
Im Gegensatz zum Kommissionspräsidenten und Außenbeauftragten wird der Ratschef eigentlich nur für 2,5 Jahre gewählt. Zuletzt war es allerdings so gewesen, dass der Posten bei den Personalverhandlungen wie die anderen Posten für fünf Jahre einer Parteienfamilie versprochen wurde.
Costa und Kallas für Spitzenposten im Gespräch
Für das Amt wird der frühere portugiesische Regierungschef António Costa gehandelt. Costa gehört wie Kanzler Olaf Scholz der Parteienfamilie der Sozialdemokraten (S&D) an.
Darüber hinaus ging es bei dem Gipfel um die Nachfolge des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Dafür war die estnische Regierungschefin Kaja Kallas im Gespräch. Sie gehört wie der französische Präsident Emmanuel Macron den Liberalen an (Renew) und gilt als eine der größten Unterstützerinnen der Ukraine in der EU.
Rutte: Keine "Tombola" wie 2019
Scholz hatte vor dem Gipfel Hoffnung auf eine Einigung "in kürzester Zeit" geäußert. Auch einige Diplomaten wetteten mit Blick auf das Fußballspiel Österreich gegen Frankreich bei der Europameisterschaft, der Gipfel werde bis zum Anpfiff um 21 Uhr enden. Diese Frist verstrich jedoch ohne Abschluss. Als das Spiel in Düsseldorf schließlich endete, saßen die 27 EU-Spitzen immer noch beim Abendessen.
Der scheidende niederländische Regierungschef Mark Rutte äußerte danach die Hoffnung auf eine Einigung in der kommenden Woche. Die Beratungen seien keine "Tombola" wie nach den letzten Europawahlen 2019, sagte Rutte. Damals hatte Macron einen Überraschungscoup gelandet, als er von der Leyen für die Kommissionsspitze vorschlug.
Verstärkte qualifizierte Mehrheit notwendig
Notwendig für die Entscheidung im Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten ist eine sogenannte verstärkte qualifizierte Mehrheit. Das heißt, es mussten mindestens 20 der 27 EU-Staaten zustimmen und diese müssen zudem mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren.
Derzeit gehören im Europäischen Rat ein Dutzend Staats- und Regierungschefs den Mitgliedsparteien des Mitte-Rechts Bündnisses EVP an. Danach folgen die Gruppe der Liberalen, zu den insbesondere Frankreichs Präsident Macron zählt, und die der sozialdemokratischen Staats- und Regierungschefs mit Politikern wie Bundeskanzler Scholz.
Nach dem Gipfel Ende kommender Woche müssen die Staats- und Regierungschefs dem Europäischen Parlament (EP) formell ein Personalpaket vorschlagen. Einstimmigkeit ist nicht vorgeschrieben. Die Abgeordneten stimmen dann ab, müssen den Vorschlägen aber nicht unbedingt folgen. Die erste Sitzung des EP findet am 16. Juli statt.
EVP mit Abstand stärkste Kraft im EU-Parlament
Die bürgerlich-konservative EVP war bei der Europawahl Anfang Juni vor den Sozialdemokraten und den Liberalen die mit Abstand stärkste politische Kraft geworden. Daher gilt es als wahrscheinlich, dass ihre Spitzenkandidatin von der Leyen weitere fünf Jahre Präsidentin der EU-Kommission bleiben kann.
Die Präsidentschaft der EU-Kommission gilt als die mit Abstand wichtigste Position, die nach der Europawahl neu zu besetzen ist. Der Amtsinhaber ist Chef von rund 32.000 Mitarbeitern, die unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Wahrung der Europäischen Verträge überwachen. Zudem sitzt er bei fast allen großen internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am Tisch.