Parteitag der EU-Sozialdemokraten Nicolas wer?
Die europäischen Sozialdemokraten wollen den Luxemburger Nicolas Schmit heute zum Spitzenkandidaten für den EU-Wahlkampf küren. Wer ist der Mann, und mit welchen Themen will die PES um Wähler werben?
Die europäischen Sozialdemokraten (PES) starten in die heiße Phase des Europawahlkampfs. Bei ihrem Parteitag in Rom wollen sie den luxemburgischen Kommissar für Arbeit und Soziales, Nicolas Schmit, zu ihrem Spitzenkandidaten offiziell nominieren. Der 70-Jährige hat keine Herausforderer.
Bei dem Parteitag werden auch alle wichtigen europäischen sozialistischen Spitzenpolitiker erwartet, allen voran Kanzler Olaf Scholz, die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen und Spaniens Premier Pedro Sanchez.
Die Sozialdemokraten sind bislang zweitstärkste Kraft im EU-Parlament und bringen sich vor allem gegen die stärkste Kraft, die christdemokratische EVP in Stellung. Die kommt Mitte kommender Woche in Bukarest zusammen, um Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu ihrer Spitzenkandidatin zu küren.
Wer ist Nicolas Schmit?
Nicolas Schmit kümmert sich in der EU-Kommission um Arbeit und Soziales, also sozialdemokratische Kernthemen. Der frühere Botschafter, Diplomat und Arbeitsminister von Luxemburg setzt sich unter anderem für angemessene Mindestlöhne in der EU und die Stärkung der sozialen Rechte ein.
In seine Legislaturperiode fiel auch der Sozialgipfel in Portugal im Mai 2021. In Porto hatten sich damals die Staats- und Regierungschefs und -chefinnen auf einen Aktionsplan geeinigt. Hauptziel ist es, bis zum Jahr 2030 eine EU-weite Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent zu erreichen. Auch sollen die Erwachsenen-Weiterbildung gestärkt und der Anteil der Menschen in Armut oder sozialer Ausgrenzung um mindestens 15 Millionen in der EU bis 2030 gesenkt werden.
Unter den EU-Kommissaren gilt der Arbeitskommissar allerdings als weniger einflussreich. Das hat damit zu tun, dass die EU in diesem Politikbereich kaum eigene Kompetenzen hat.
Nicolas Schmit wird in diesen Wochen häufig fotografiert. Doch vielen EU-Bürgern dürfte sein Name wenig sagen.
Wozu überhaupt ein europäischer Spitzenkandidat?
Das Prinzip der europäischen Spitzenkandidaten geht auf den früheren EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und den damaligen Parlamentspräsidenten Martin Schulz zurück. Es sollte Politikverdrossenheit entgegenwirken - insbesondere dem Eindruck, dass der Wählerwille in Brüssel kaum eine Rolle spielt.
Die Staaten entscheiden über einen Vorschlag des EU-Ratspräsidenten zur Wahl des Kommissionspräsidenten, den auch das Parlament noch bestätigen muss. Nach dem Spitzenkandidatenprinzip soll der Sieger unter den Spitzenkandidaten idealerweise auch EU-Kommissionspräsident werden.
Chef oder Chefin der EU-Kommission
Bei der vergangenen Wahl 2019 klappte das nicht. Der Spitzenkandidat der stärksten Parteienfamilie, der EVP, der CSU-Politiker Manfred Weber, scheiterte insbesondere am Widerstand von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.
Auch der polarisierende, sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans konnte keine Mehrheit unter den Staaten erringen. Er hatte sich durch seine unnachgiebige Art im Kampf für Rechtstaatlichkeit vor allem Feinde in Polen und Ungarn gemacht.
Als Kompromisskandidatin wurde Ursula von der Leyen an die Spitze der EU-Kommission gewählt, obwohl sie sich überhaupt nicht zur Wahl gestellt hatte. Auch bei dieser Wahl kämpft sie nicht um einen Platz im EU-Parlament, ebensowenig wie der Sozialdemokrat Schmit. Wer aber ihre Partei wählt, drückt gemäß dem Spitzenkandidatenprinzip aus, dass man sie gerne im Amt des Kommissionspräsidenten sehen will.
Für Verwirrung sorgt, dass neben den europäischen Spitzenkandidaten die Parteien in den Mitgliedstaaten auch eigene Spitzenkandidaten haben, auf die die Wahlkämpfe ausgerichtet sind. In Deutschland führt Katarina Barley den Europa-Wahlkampf der SPD.
Was sind die Themen der Sozialdemokraten?
Die PES setzt in ihrem Wahlprogramm auf klassische sozialdemokratische Themen. Kandidat Schmit hat bereits angekündigt, für mehr sozialen Schutz und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die Sozialdemokraten wollen unter anderem für angemessene Arbeitsbedingungen von Plattform-Beschäftigten, also Lieferdiensten, sorgen. Eine Richtlinie dazu wird gerade von den EU-Staaten blockiert.
Außerdem wollen die Sozialdemokraten dafür sorgen, dass der Klimaschutz in Europa stärker sozial ausgerichtet wird. Ebenso sehen sich die Sozialdemokraten als Bollwerk gegen einen Rechtsruck. Der christdemokratischen EVP werfen sie vor, die rechten Kräfte in Europa salonfähig zu machen, weil deren Parteichef Weber auf die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni zugegangen ist. Zu den großen geopolitischen Themen zählt für die Sozialdemokraten die weitere Unterstützung der Ukraine.
Welche Rolle könnten die Sozialdemokraten in der kommenden Legislaturperiode spielen?
Die Sozialdemokraten wollen mindestens ihre Rolle als zweitstärkste Kraft verteidigen. Vergleichsweise große Unterstützung haben sie in Spanien, Rumänien, Portugal oder im französischsprachigen Süden Belgiens. In Deutschland ist die SPD einer harten Kritik an der Ampelregierung ausgesetzt.
Für die Wahl der Spitzen der neuen EU-Institutionen dürften die europäischen Sozialdemokraten eine entscheidende Rolle spielen, vor allem, wenn es darum geht, Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin im Amt zu bestätigen.
Auch geographischer Proporz spielt eine Rolle
Ihre Wahl und die des Ratspräsidenten und Parlamentspräsidenten folgt einer komplizierten Arithmetik. Die drei stärksten Fraktionen teilen sich die Ämter auf. Auch spielt meist ein geografischer Proporz eine Rolle.
Bei der vergangenen Wahl fiel der Posten der Kommissionspräsidentin an die EVP, die Sozialdemokraten besetzten den Posten des EU-Parlamentspräsidenten mit dem Italiener David Sassoli, der das Amt von 2019 bis zu seinem Tod 2022 inne hatte. Der EU-Ratsvorsitz fiel an den belgischen Liberalen Charles Michel.
Sollte das nächste Parlament weiter nach rechts rücken, dürfte das die Suche nach Mehrheiten erschweren. Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne müssten enger zusammenrücken, was gerade schwer vorstellbar ist. Insbesondere im Streit um neue Umweltvorgaben des Europäischen Grünen Deals liegen die Parteien weit auseinander.