Streit um EU-Gelder Ungarn gibt sich gelassen
Kündigt die EU-Kommission heute an, Ungarn Fördergelder zu streichen? In Budapest zeigt man sich vor der Entscheidung demonstrativ gelassen. Und hofft insgeheim auf neue Verbündete unter den EU-Regierungen.
Es geht um mehrere Milliarden Euro Fördergelder für Ungarn, die die EU-Kommission eingefroren hat, weil sie Zweifel hat an der Rechtsstaatlichkeit Ungarns. Zweifel, die Ungarn seit Wochen mit einem 17-Punkte-Plan gegen Korruption und für mehr Rechtsstaat zu entkräften versucht. Jetzt entscheidet die EU-Kommission, ob sie das überzeugt hat - oder nicht.
Ein regelrechter Crash-Test also für den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus. Mit ihm kann die EU einem Mitgliedsland Fördergelder streichen, wenn gegen Grundrechte verstoßen wird. Das Verfahren gegen Ungarn läuft seit April. Die letzte Entscheidung haben aber die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs.
Kommt die "Stunde der Wahrheit"?
In Brüssel, vor allem aber im Europäischen Parlament in Straßburg demonstrieren einige schon eine gewisse Vorfreude auf das heutige Votum der EU-Kommission. Jetzt sei "die Stunde der Wahrheit" gekommen. Europäische Fördergelder zu streichen, sei die einzige Sprache, die Viktor Orban, Ungarns starker Mann und Regierungschef, wirklich verstehe.
In der ungarischen Hauptstadt Budapest haben sie das aufmerksam registriert und reagieren wie immer in solchen Fällen mit demonstrativ gelassenem Kopfschütteln. Die Regierung in Budapest habe jedenfalls keine offiziellen Informationen, was den erwarteten Vorschlag der Europäischen Kommission angehe.
Es seien alles nur Spekulationen, Gerüchte, die aus der Kommission gestreut würden. Ziemlich seltsam findet das der für die Verhandlungen mit der EU zuständige ungarische Minister Tibor Navracsics.
Wen Ungarn als den Schuldigen ausmacht
Vor der Auslandspresse in Budapest bemühte er auch Verschwörungstheorien, um die kritischen Fragen zu beantworten und sie dabei gleichzeitig locker wegzuwischen. Er beklagt den "enormen Druck", den vor allem das EU-Parlament auf die Kommission ausübe.
Navracsics meint damit "die linke Mehrheit" im Parlament, die "linken politischen Parteien", die der "ungarischen Regierung sehr kritisch gegenüberstehen". Die Kritik sei in Ordnung, ein politisches Geschäft. Er hoffe aber, die EU-Kommission werde den "Umsetzungsprozess" des 17-Punkte Plans, zu dem auch eine Anti-Korruptions-Task-Force gehört, "als ziemlich gut bewerten".
Ende einer Freundschaft
Wer für Ungarn alles zur "linken Mehrheit" gehört, hat Ministerpräsident Viktor Orban neulich in einem Interview mit der deutschsprachigen "Budapester Zeitung" erklärt und damit zugleich eine politische Freundschaft beendet.
Aus "ungarischer Perspektive", so Orban, "ist die CDU heute eine linke Partei." Die CSU übrigens auch: "Genauso! Früher unterhielten wir zur CSU ausgezeichnete Beziehungen." Vorbei, trotz der, so Orban, "besonderen ungarisch-bayerischen Beziehungen".
Versuch einer Offensive
Angriff heißt die ungarische Verteidigungsstrategie. Es war eine Mehrheit des EU-Parlaments, die Ungarn in der Auseinandersetzung um die Fördergelder abgesprochen hatte, noch eine echte Demokratie zu sein. Bestenfalls halte sich Orban eine "Wahlautokratie". An die natürlich keine EU-Fördergelder fließen dürften.
Der ungarische EU-Minister und ehemalige EU-Kommissar Navracsics hält das für eine "ziemlich seltsame Definition" seines Staates. Wie nebenbei versucht er, mal eben klarzustellen, dass man mit der EU-Kommission eigentlich in guten Gesprächen sei: "Die Europäische Kommission hat nie gesagt, dass Ungarn keine Demokratie ist, das ist das Europäische Parlament!"
Die Frage, was die ungarische Regierung mache, wenn die Förder-Milliarden am Ende doch fließen, versucht Navracsics vor der Auslandspresse kurz wegzulachen - um dann zu betonen, welche Anstrengungen Ungarn und er in den vergangenen Monaten unternommen hätten. Ungarn sei im letzten halben Jahr viele Verpflichtungen eingegangen: "Wir werden den Mitgliedsstaaten beweisen, dass wir ein transparentes Land sind."
Kann Ungarn auf Meloni hoffen?
Ungarns Regierung kann das Votum der EU-Kommission allerdings grundsätzlich gelassen abwarten. Entscheidend ist letztlich, was eine qualifizierte Mehrheit der EU-Regierungen entscheidet, im Dezember. Da hat sich, nach dem Wahlsieg der Rechtsregierung Meloni in Italien, das Gewicht der Orban-Fans erhöht.
Für die Kürzung der EU-Förder-Gelder braucht die EU-Kommission das "Ja" von mindestens 15 der 27 EU-Mitgliedsstaaten, die außerdem noch für mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen müssen.