Klausur der EU-Konservativen Ein Kurswechsel, doch wenig Aussicht auf "EVP pur"
Nach ihrem Erfolg bei der Europawahl berät die EVP, wie sie ihre Wahlversprechen umsetzen kann. Das dürfte sich vor allem auf den "Green Deal" auswirken. Doch die Christdemokraten werden auch Kompromisse schließen müssen.
Es ist ein malerischer Ort, den sich die EVP ausgesucht hat, um weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ihre politischen Prioritäten zu beraten. Auf dem Gelände eines Luxushotels mit Golfanlage direkt an der portugiesischen Atlantikküste in Cascais diskutieren die aus 187 Mitgliedern bestehenden 27 nationalen Delegationen der Fraktion in internen Sitzungen, wie das Arbeitsprogramm der kommenden Jahre aussehen soll.
Viele hochrangige Gäste sind dabei: die Präsidentinnen von EU-Kommission und -Parlament, Ursula von der Leyen und Roberta Metsola, unter den Gastrednern sind der konservative, spanische Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo und der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
Die Workshops behandeln Themen wie Außenpolitik, Haushalts- und Strukturpolitik, Inneres, Wirtschaft und Umwelt. Auch gehe es darum, sich besser kennenzulernen, unterstreicht EVP-Chef Manfred Weber. Rund 40 Prozent der Abgeordneten seien neu gewählt.
Wahlversprechen realisieren
Als Wahlsiegerin leitet die EVP den Anspruch ab, ihre Wahlversprechen nun besonders in die Tat umzusetzen. Im Wahlkampf warben die europäischen Christdemokraten damit, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Dieser Forderung soll in Zukunft ein europäischer Verteidigungskommissar Rechnung tragen.
Ebenso verspricht die EVP, den vor der Wahl ausgehandelten Asyl- und Migrationspakt mit Leben zu füllen, vor allem die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern von Migranten zu verbessern und illegale Migration sowie Schlepperkriminalität zu beenden. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Sicherheit im Inneren, unter anderem der Kampf gegen Kindesmissbrauchsdarstellungen im Internet.
Die erste Priorität ist aus Sicht von EVP-Chef Weber: "Wir müssen Europa wirtschaftlich fit halten. Die Wettbewerbsfähigkeit, Industrie in Europa halten, die Innovation in Europa halten. Das sind ganz zentrale Aufgaben der nächsten fünf Jahre. Europa verliert leider derzeit ökonomisch an die großen Giganten wie China und die Vereinigten Staaten von Amerika an Substanz und das müssen wir stoppen und umdrehen."
Die europäischen Christdemokraten führen das auf eine Überregulierung in Europa zurück, nicht zuletzt durch die vielen Vorgaben des Europäischen Grünen Deals, dem Flagschiff-Projekt ihrer Kommissionspräsidentin von der Leyen in der vergangenen Legislaturperiode. Es besteht aus einer Reihe von Umweltgesetzen, die praktisch jedem Sektor weniger CO2-Ausstoß und oftmals mehr Bürokratie abverlangen, vom Verkehrs- bis zum Gebäudesektor und vielen mehr, um Europa bis 2050 klimaneutral zu machen.
EVP-Chef Weber bezeichnet den "Green Deal" zwar als "Herzensanliegen", welches fortgeführt werden müsse, aber der Deal müsse eben "pragmatisch umgesetzt werden". Rhetorisch ist Kommissionspräsidentin von der Leyen bereits auf den Ton ihrer Parteienfamilie eingeschwenkt, verzichtet weitgehend auf grüne Rhetorik und will die Regelungen aus Brüssel herunterfahren. Sie verspricht unter anderem, 25 Prozent der Berichtspflichten von Unternehmen zu reduzieren.
Europäischer Grüner Deal auf dem Prüfstand
Im Grunde genommen steht also eine Kursänderung an. Die Klimagesetze sollen einem Bürokratie-Check unterzogen werden. Eines der Gesetze, das aus Sicht der EVP revidiert werden muss, ist die Regelung, wonach ab 2035 nur noch CO2-neutrale Neuwagen zugelassen werden sollen. Es sollen nicht mehr, wie anvisiert, Elektroautos den grünen Wandel vollziehen, sondern auch Fahrzeuge mit synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, stärker zum Zug kommen.
Kommissionspräsidentin von der Leyen versprach, die Neuregelung im Jahr 2026 zu prüfen. Der CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke macht Druck: "CO2-neutrale Kraftstoffe und synthetische Kraftstoffe können eine entscheidenden Beitrag leisten zur Dekarbonisierung des Verkehrs. Jetzt gilt es, keine Zeit zu verlieren, nicht bis 2026 warten, sondern die Rücknahme des Verbrennerverbots direkt umzusetzen."
Das Netto-Null-Industrie-Gesetz, womit klimafreundliche Industrie durch Verfahrensbeschleunigungen etwa für Batterien- und Photovoltaikhersteller gefördert wird, soll auf alle Industrien ausgeweitet werden, die dekarbonisieren wollen, fordert der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. Davon könnte zum Beispiel die Stahlindustrie profitieren.
Auch fordert er, sogenannte "negative" Emissionen in den Emissionshandel miteinzubeziehen. Diese könnten Unternehmen mit ihrem CO2-Verbrauch verrechnen, wenn sie an anderer Stelle mit technischen Hilfsmitteln wie dem "direct air capture" wieder CO2 aus der Luft entnehmen. Das soll Anreiz bieten für energieintensive Industriebereiche, auch nach 2039 in Europa zu bleiben, wenn die Verschmutzungszertifikate aufgebraucht sind.
Ein Rat von den Sozialdemokraten
Die spannende Frage bleibt nun, wie viel "EVP pur" die Christdemokraten in den Verhandlungen mit Sozialdemokraten und Liberalen werden durchsetzen können. Vor allem in diesen Fraktionen wirbt von der Leyen um Unterstützung für eine Mehrheit im EU-Parlament Mitte des Monats, damit sie für eine zweite Amtszeit bestätigt wird.
Der Chef der SPD-Europaabgeordneten, René Repasi, sagt: "Mangels einer absoluten Mehrheit im EU-Parlament ist auch die EVP darauf angewiesen mit anderen politischen Kräften zusammenzuarbeiten. Dabei kann ich der EVP nur sehr warm ans Herz legen, dies ausschließlich mit proeuropäischen und demokratischen Kräften zu tun. Sie muss der Versuchung widerstehen, mit Rechtsaußen ihr Programm zur Rückabwicklung des 'Green Deals' verwirklichen zu können."
Es hängt einiges vom Verhandlungsgeschick der Christdemokraten ab. Beschwingt vom starken Wahlsieg hatte die EVP schon zuvor zu hoch gepokert. Sie stellte Ansprüche auf einen EVP-Ratspräsidenten für zweieinhalb Jahre. Den hat sie erstmal nicht sicher. Nach der Einigung beim vergangenen EU-Gipfel kann stattdessen der Sozialist Antonio Costa damit rechnen, das Amt ganze fünf Jahre auszuüben.