Korruptionsvorwürfe im EU-Parlament "Es kann keinen Tag so weitergehen"
Nach der Festnahme der Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Kaili, und weiterer Verdächtiger zeigt sich das politische Brüssel erschüttert. Angesichts der Korruptionsvorwürfe fordern EU-Abgeordnete schnelle Aufklärung. Kaili wurde noch am Abend von ihrem Amt suspendiert.
In den Korruptionsermittlungen gegen die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Eva Kaili, entscheidet sich am Sonntag, ob die griechische Politikerin und vier weitere Verdächtige im Gefängnis bleiben. Dann werde über mögliche Haftbefehle befunden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft der Nachrichtenagentur dpa. Die fünf Verdächtigen waren gestern festgenommen worden.
Zu ihnen gehört nach dpa-Informationen auch der Lebensgefährte der griechischen Politikerin, der im Parlament als Berater für Außenpolitik und Menschenrechte arbeitet. Zudem ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein ehemaliger Europaabgeordneter unter den Festgenommenen. Medienberichten zufolge haben alle Verdächtigen außer Kaili die italienische Staatsangehörigkeit oder sind italienischer Herkunft.
Kaili als Vizepräsidentin suspendiert
Bei den Ermittlungen geht es nach Angaben der Staatsanwaltschaft um eine mutmaßliche kriminelle Organisation, versuchte Einflussnahme aus dem Ausland sowie Vorwürfe von Korruption und Geldwäsche. Man habe seit mehreren Monaten den Verdacht, dass ein Golfstaat versuche, die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen des EU-Parlaments zu beeinflussen. Belgische Medien berichten, dass es sich dabei um das Emirat Katar handeln soll, wo derzeit die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Im Zuge der Razzien in Brüssel wurden nun Handys sowie eine beträchtliche Menge Bargeld sichergestellt.
Kaili wurde am späten Samstagabend als Vizeparlamentspräsidentin des Europäischen Parlaments suspendiert. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola entzog der 44-Jährigen "mit sofortiger Wirkung alle Befugnisse, Pflichten und Aufgaben" als ihre Stellvertreterin, wie eine Sprecherin Metsolas nach Angaben der Agentur AFP mitteilte. Die Partei von Kaili, die griechische PASOK, hatte die Politikerin bereits zuvor ausgeschlossen. Und auch die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament, der die PASOK angehört, setzte Kailis Mitgliedschaft aus.
Deutsche Abgeordnete fordern Rücktritt
Die SPD-Politikerin Katarina Barley, ebenfalls Vizepräsidentin EU-Parlament, erklärte in den tagesthemen, "solche Vorgänge sind schrecklich. Sie passieren leider immer mal wieder - viel zu häufig." Gleichwohl dürften Menschen, die politisch tätig sind, nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Jetzt müssten die Vorgänge zunächst aufgeklärt werden. Sie hoffe, dass das Vertrauen in das Europaparlament sich nun darin begründe, wie das Parlament mit dem Vorfall umgeht. "Wir tun alles, damit sich solche Vorgänge nicht wiederholen", so Barley.
Der Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe Anti-Korruption des EU-Parlaments, Daniel Freund, zeigte sich von den Ermittlungen schockiert und forderte, die Vorwürfe müssten lückenlos aufgeklärt werden. Sonst drohe ein Vertrauensverlust. "Und dabei ist das Europaparlament eigentlich eines der transparentesten in Europa. Unter diesen Voraussetzungen können wir keine Visafreiheit diskutieren für katarische Bürger in die EU, vorher muss geklärt werden, ob hier Einfluss genommen wurde auf Entscheidungen des EP oder der EU."
Auch der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier, forderte Kaili zum sofortigen Rücktritt auf. "Natürlich kann sie das Parlament nicht weiter repräsentieren", sagte er. "Es kann keinen Tag so weitergehen."
Rede von Kaili zur Lage in Katar auffällig
Ob und inwieweit mögliche Geldgeschenke oder Gefälligkeiten Einfluss auf konkrete politische Entscheidungen gehabt haben könnten, müssen nun die Ermittlungen zeigen. Eine Rede Kailis im November zur Menschenrechtslage in Katar wirft bereits Fragen auf. Darin spricht sie von Katar als Vorreiter für Arbeitsrechte. Die WM sei ein Beweis dafür, wie Sportdiplomatie eine historische Veränderung eines Landes herbeiführen könne.
Zudem hieß es, dass sich Kaili mit dem katarischen Außenminister getroffen habe. Für den EU-Abgeordneten Freund ist das ein Beweis dafür, wie Drittstaaten Einfluss nehmen wollten auf die EU: "Es gibt in Brüssel eigentlich sehr gute Lobbyregeln. Allerdings sind Drittstaaten wie Katar hiervon bisher voll ausgenommen. Hier muss die EU unbedingt nachbessern. Lobbying von Drittstaaten muss ins Lobbyregister und Treffen mit Vertretern von Drittstaaten müssen veröffentlicht werden." Bisher gelten diese Regeln nur für EU-Lobbygruppen.