Finnland wählt Sanna Marin muss um Wiederwahl bangen
International gilt die finnische Ministerpräsidentin als Polit-Superstar. Doch innenpolitisch kriselt es. Der Wohlfahrtsstaat ist unter Druck, Schulden steigen und die Rechtspopulisten haben Aufwind.
Noch zählen sie zu den hellsten Köpfen der Welt. Seit Jahren spielen Finnlands Schüler ganz vorne mit bei internationalen Bildungsvergleichen. An der Mankka-Schule in Espoo bei Helsinki etwa waren sie jahrelang genau darauf stolz. Doch der exzellente Ruf ist in Gefahr.
Das merkt nicht nur Vertti Stenfors. Der 15-Jährige geht in die neunte Klasse. Schon seit längerer Zeit bekommt er die Einsparungen im Bildungssystem zu spüren. "Nicht alles ist so perfekt, wie es von außen aussieht. Es fehlen Geld und Lehrer."
Keine kostenlosen Laptops mehr
Deutschlehrer Antti Piiroinen schreibt eigentlich nur selten etwas auf die Tafel. Der Unterricht findet in Finnland weitgehend digital statt. Mit kostenlosen Laptops für alle. Doch erstmals konnte die Schule den unteren Jahrgangsstufen keine Computer mehr anbieten.
Das Geld reichte nicht. Lehrer Piiroinen hat zudem auch deutlich mehr Schüler im Klassenzimmer als früher. "Die Gesellschaft verändert sich. Den Wohlhabenden geht es gut. Wer aber wenig Geld hat, verliert den Anschluss."
Kopf-an-Kopf-Rennen
Die Regierung unter Ministerpräsidentin Sanna Marin hat das Land in Richtung NATO geführt, auf internationaler Bühne erfuhr sie jüngst viel Zuspruch. Doch innenpolitisch kriselt es. In ihrer Regierungszeit hat das Land so viele Schulden angehäuft wie noch nie. Der Grund: Die Corona-Pandemie und die Energiekrise in Folge des Krieges in der Ukraine. Die Sozialdemokraten unter Marin denken im Wahlkampf nun darüber nach, die Steuern zu erhöhen, um den nordischen Wohlfahrtsstaat zu retten.
Der konservative Herausforderer Petteri Orpo dagegen fordert einen strikten Sparkurs. Laut letzten Umfragen liegt er mit seiner Nationalen Sammlungspartei knapp vor den rechtspopulistischen Basis-Finnen. Ein Machtwechsel liegt somit in der Luft. Auch, weil die Sozialdemokraten nach der Wahl wohl nicht mehr, wie jetzt, in der Fünf-Parteien Koalition auf die Unterstützung der Zentrumspartei setzen können.
Wohlfahrtsstaat in Gefahr
Die Menschen in Finnland waren es über Jahrzehnte gewohnt, dass der Staat immer da ist und sich kümmert. Tiia Marietta wird in wenigen Wochen zum ersten Mal Mutter. Deshalb hat die Unternehmerin wie alle schwangeren Frauen eine Baby-Grundausstattung geschenkt bekommen: Strampler, Decken und sogar ein Winteranzug. Finnlands Staat denkt an die Kleinsten im Land.
Jede angehende Mutter bekommt vom finnischen Staat eine Baby-Grundausstattung geschenkt. Die Menge des Inhalts dieser kostenlosen Lieferung hat sich in den vergangenen Jahren halbiert. Inflation sei der Grund dafür, heißt es.
All das bekommen die Eltern kostenlos. Vor wenigen Jahren gab es noch 63 Sachen in der Kiste. Doch wegen der Inflation hat sich deren Inhalt fast halbiert. "Ich habe trotzdem das Gefühl, dass sich Finnland um mich als werdende Mutter kümmert", erzählt sie. Die Probleme lägen aber im Gesundheitssystem. "Ich mache mir schon darüber Sorgen, ein Kind in einem Krankenhaus zu bekommen, in dem es mittlerweile an Personal fehlt und die Belegschaft unzufrieden ist."
Rechtspopulisten wittern ihre Chance
Laut dem jüngsten World Happiness Report der UN leben in Finnland die glücklichsten Menschen der Welt. Angesichts knapper Kassen geht im Wahlkampf nun aber die Sorge um, dass dieses Glück nicht mehr lange währt. Riikka Purra, die Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei "Die Finnen" macht damit Stimmung und warnt vor zu viel Zuwanderung, obwohl gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben.
Riikka Purra, die Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei "Die Finnen" warnt vor zu viel Zuwanderung, obwohl nur zehn Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben.
"Wir haben eine steigende Jugendkriminalität. Es gibt Ausländer-Gangs. Hinzu kommt die schwache Wirtschaftsleistung unseres Landes. Wir müssen jetzt an die finnischen Steuerzahler denken und daran, wie wir sorgsam mit ihrem Geld umgehen. Viele unserer Probleme haben mit der Einwanderung zu tun", sagt Purra im ARD-Interview. Die Wahlbeteiligung könnte im Vergleich zu 2019 leicht steigen. Mehr als 1,3 Millionen Finnen haben bereits vorzeitig ihre Stimme abgegeben. Das sind 2,8 Prozent mehr als bei der vergangenen Wahl.
Die Reportage zum Thema sehen Sie im Weltspiegel - um 18:30 Uhr im Ersten.