Eine ganze Burg in Frankreich Bauen wie im 13. Jahrhundert
Für Mittelalterfans ist Guédelon ein Zauberwort. Denn dort - mitten in Frankreich - entsteht eine Burg, die nicht nur mittelalterlich aussieht, sondern auch so gebaut wird: Mit Zwölfknotenschnur statt mit Technik von heute.
"Auf dieser Baustelle sind Sie eingeladen, jedem Fragen zu stellen, um sein Handwerk zu verstehen. Sagen Sie 'Guten Tag', die meisten beißen nicht." So begrüßt ein junger Mann in Robin-Hood-Outfit alle auf einer überdachten Plattform. Die Aussicht: sandsteinfarbene Türme, Mauern und Zinnen. Hier baut Guilbert, der fiktive "Seigneur von Guédelon" mit bescheidenen Mitteln seine Burg. So, wie es sein König Philippe-Auguste vorschreibt.
Wir sind im 13. Jahrhundert - doch ganz modern: "Dieses Jahr ist Guédelon zu null Müll übergegangen. Plastik auf der Erde - das wäre nicht sehr mittelalterlich und auch nicht gut für den Planeten. Werfen Sie ihren Müll also in die Behälter dort", mahnt Guilbert.
Der Plan der Burg - doch fertig gebaut ist sie noch lange nicht.
Eine Schloss gekauft - und dann viele Fragen gehabt
Michel Guyot hat das Projekt 1997 gegründet. Der heute 76-Jährige besitzt das nahe Schloss Saint-Fargeau. Darin sei eine noch ältere Burg versteckt, sagen ihm eines Tages Forscher. Da entsteht die Idee, eine Burg ganz neu zu bauen - nur mit mittelalterlichen Methoden, wie der Zwölfknotenschnur zum Bestimmen rechter Winkel. In einem Dokumentarfilm erzählt Guyot:
Schon in der Jugend habe ich bei der Restaurierung baufälliger Schlösser geholfen, mit meinem Bruder eins gekauft und dann Saint-Fargeau. Wir fragten uns: Wie haben die das vor 800 Jahren gemacht? Der Burg-Neubau war ein absoluter Traum, eine verrückte Idee. Unsere Vision reicht über ein Jahrhundert. Am Ende kommt dieses schöne Werk vielleicht auf die Denkmalliste.
Ein stillgelegter Steinbruch an einem Bach im Eichenwald bietet Baumaterial und bekommt einen Platz auf der Landkarte. Guédelon wird sofort ein Erfolg: Der Besitzer rechnete im Jahr eins mit 3.000 Besuchern, es kamen 50.000 - um ein paar Steine und zwei Hütten zu sehen.
Alles wird mit Techniken gemacht, wie sie früher verwendet wurden. Das Korbflechten genauso....
"Hier arbeiten - das pure Glück"
Heute steht da eine richtige Burg mit Kapellenturm und Palas. Jedes Jahr besichtigt von 300.000 Menschen. Guédelon zählt inzwischen rund 70 Mitarbeiter, 40 davon direkt auf der Baustelle. Unter einem Holzdach bearbeitet Camille mit Schutzbrille und Zahneisen einen weißen Steinblock für einen Eingangsturm. "Ich bin zum ersten Mal und für zwei Wochen hier, im Rahmen meiner Ausbildung zum Steinmetz. Hier arbeiten ist genial. Das pure Glück."
In staubigem Umhang bugsiert Loic mit einer Stange dunklen Eisensandstein. Er ist seit drei Jahren Steinbrecher in Guédelon und pfeift vor sich hin. "Da hab ich einen Zwölftonner. Man muss nur ein bisschen buddeln, schon hat man solche Brocken. Ich analysiere die Form des Steins, seine Schwachstellen und bringe ihn dann auf das richtige Volumen, es macht Spaß."
Neben der Korbflechterin lässt ein bärtiger Seiler die Besucher ordentlich kurbeln, um Naturfasern zu einem Tau zu verdrillen. Und Thomas matscht in der Ziegelei. "Aus Lehm, Sand und Stroh bereite ich eine Masse vor. Ich packe sie in Formen. Sie trocknet, wird nicht gebrannt. Die Blöcke sind für das bäuerliche Umfeld, nicht für die Burg selbst. Daraus ist der Unterbau des Schmiedeofens."
... wie das Schmieden von Nägeln.
Körbe, Spitzeisen und Schindeln
Schmied Loic - weißes Haar, Ledersatteltasche am Gürtel - heizt mit dem Blasebalg das Feuer an. Der Ofen brennt mit Holzkohle, der beste Brennstoff im Mittelalter. "Ich repariere hier die Spitzeisen der Steinmetze. Die kommen nach zwei bis drei Wochen Gebrauch stumpf zu uns, wir erhitzen sie, mit ein paar Hammerschlägen forme ich sie spitz, feile sie glatt und härte sie aus." Sieht ja aus wie ein Bleistift, sagt ein Junge und fragt, warum der Schmied keine Handschuhe trägt.
Pascale sitzt ein paar Schritte weiter mit seinem Schlapphut rittlings auf einem Holzbock. Der Zimmerer hat die Burg wachsen sehen, seit sie drei Meter hoch war. Er ist seit über 20 Jahren dabei. "Wir machen dieses Jahr Eichenholzschindeln für das Dach des Taubenturms. Das dauert, denn wir müssen ja die Hälfte der Arbeitszeit Fragen beantworten."
Ein kleiner Nagel noch und Scherze mit den Besuchern, dann erklärt Pascale weiter: "Es ist eine experimentelle Baustelle. Wir haben was hochgezogen, wieder eingerissen, weil wir es nicht besser wussten. Zuerst hatten wir eckige Türme. Nein, hat dazu der wissenschaftliche Beirat gesagt. Nun haben wir runde. So was gibt's jetzt nicht mehr, wir passen auf, was wir tun."
15 Farben lassen sich mit dem herstellen, was man rund um die Burg findet.
"Gibt man Kohle hinzu, entsteht Blaugrau"
Ukraine-Flüchtling Dima schält mit einer Axt eine Holzplanke glatt. Er kennt sich aus. "Interessant, die Baustelle. Ich habe schon in der Ukraine mit Holz gearbeitet. Hier bereite ich Bretter für die Getreidemühle vor. Jedes Jahr kommt was Neues hinzu. Da entsteht die Bäckerei. Für Pizza? Nein, für Brot!"
Einen Garten gibt es in Guédelon und Nutztiere, Wehrgänge laden ein, genau wie das Innere mit Blumenfresken in Naturfarben. Die mischt Claire, die Färberin. Mit rotem Leinentuch um den Kopf sitzt sie in ihrer Hütte vor Rindenschalen mit buntem Pulver. "15 Farben kann ich herstellen nur mit den Mineralien, die ich rund um die Burg finde. Zum Beispiel gelbliches oder rötliches Ocker. Kalk macht Weiß. Gibt man Kohle hinzu, entsteht Blaugrau."
Währenddessen herrscht Action am Burgtor. Profi Guillaume steht angeseilt wie ein Kletterer aber ohne Helm knapp unter dem Mauerrand. Per Tretkranrad werden Gerüstbalken nach oben gehievt. "Wir sind nicht hoch genug, um neue Steine aufzusetzen, so stocken wir das Gerüst auf. Unsere Helme hängen da unten an der Mauer. Die braucht man, damit einem nichts auf den Kopf fällt. Aber über uns ist nichts, also kein Risiko!"
Anfangs waren die Türme eckig. Doch Experten sagten, sie müssten rund sein - so sehen sie heute dann auch aus.
Vielleicht auch irgendwann Pyramiden
Guillaume weiß, in Guédelon ist der Weg das Ziel. "Wir haben es nicht eilig, fertig zu werden. Es geht hier ums Bauen an sich. Eine Kirche soll kommen, vielleicht auch noch Pyramiden", witzelt er. "Wir arbeiten lieber jeden Tag langsamer als am Vortag. Die Arbeit muss ja auch bis zu unserer Rente reichen."
Eine Oma fragt ihren Enkel: "Gefällt's dir, Leon?" Ja, antwortet er und fragt, ob er auch über die kleine Brücke da gehen dürfe? Er darf. Seine Schwester Lisa meint: "Es gefällt mir, wie sie im Mittelalter gearbeitet haben. Aber es war hart!"
Hart ist es auch, mit Bauklötzern ein gotisches Spitzbogen-Doppelfenster zu stapeln, finden Nicolas und Jeremy. Sie sind rund 400 Kilometer angereist. Ihr Fazit: "Es war super. All die mittelalterlichen Bautechniken, Bögen und Gerüste. Aber man muss sehr geduldig sein, um am Ende eine schöne Burg zu haben!"