Parlamentswahl in Frankreich Abschied von der absoluten Mehrheit?
In Frankreich läuft die entscheidende Runde der Parlamentswahl. Das Bündnis von Präsident Macron muss um die absolute Mehrheit bangen. Macron warnte davor, dass das Land im Chaos versinkt.
"Il faut dramatiser" - man muss dramatisieren, sagte Frankreichs Ex-Premierminister Édouard Philippe kurz nach der ersten Wahlrunde. Und genau das tat Präsident Emmanuel Macron vergangenen Mittwoch. Kurz vor seinem Abflug nach Rumänien und seiner Reise nach Kiew, richtete er auf dem Rollfeld vor der Präsidentenmaschine mit laufenden Turbinen eine dramatisch klingende Botschaft an seine Landsleute: "In diesen unruhigen Zeiten ist die Wahl, die ihr am Sonntag treffen müsst, entscheidender denn je."
Es gehe um das übergeordnete Interesse der Nation, so Macron. "Deshalb möchte ich Euch überzeugen, dem Land eine solide Mehrheit zu bescheren. Nur so können wir die Ordnung sicherstellen. Innerhalb und außerhalb unserer Grenzen. Nichts wäre schlimmer, als zur weltweiten Unordnung auch noch eine französische Unordnung hinzuzufügen."
Unter "solider Mehrheit" versteht Macron die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Die hatte die Regierungspartei in den vergangenen fünf Jahren inne und konnte damit ihre Gesetzesvorhaben ohne Widerstand durchs Parlament bringen.
Sorge vor Blockade und politischen Stillstand
Sollte es heute nur zu einer relativen Mehrheit reichen, müsse die Präsidentenpartei sich auf die Suche nach Koalitionspartnern machen, erklärt Olivier Rouquan, Politikwissenschaftler an der Pariser Universität Sorbonne-Assas: "Dann müssten sie mit den gemäßigten Linken und den gemäßigten Konservativen zusammenarbeiten. Verhandlungen wären nötig."
Was im deutschen Parlamentarismus gang und gäbe ist, schürt in Frankreich Ängste. Die Präsidentenpartei fürchtet Blockade und politischen Stillstand. Nicht ganz unberechtigt, sagt Politikwissenschaftler Rouqan. Denn Partner zu finden, dürfte für Macrons Partei gar nicht so einfach sein, auch weil viele Macron-kompatible Abgeordnete rechts und links der Mitte bereits seinem Parteienbündnis beigetreten sind.
Für die parlamentarische Debatte allerdings, sagt Rouquan, wäre es ein Gewinn: "Die Abgeordneten hätten wesentlich mehr Gewicht, sie könnten sich mit konstruktiven Vorschlägen durchsetzen. Die Regierung müsste offener sein und der Präsident müsste sich mehr zurückhalten. Eine solche Situation hatten wir schon mal, unter Präsident François Mitterand."
"Macron nimmt mich nicht für voll"
Dass es überhaupt so weit kommen könnte, ist dem Linksaußen-Politiker Jean-Luc Mélenchon geschuldet. Mit dem links-grünen Wahlbündnis NUPES aus seiner Partei La France Insoumise, den Grünen, Sozialisten und Kommunisten hat er ein Gegengewicht zu Macrons Mitte geschaffen und einen extrem linken Gegenentwurf zur sozialliberalen Politik des Präsidenten präsentiert.
Gespickt mit einer ordentlichen Portion Populismus und persönlichen Angriffen auf Präsident Macron ein Erfolgsrezept. "Macron nimmt mich nicht für voll. Aber das ist gar nicht das Problem. Er nimmt auch das Volk nicht für voll. Sonst hätte er die Reise nach Rumänien und Kiew nicht geplant", so Mélenchon. "Der Präsident glaubt, die Parlamentswahl ist Formsache und er kann anderweitig in der Welt 'rumturnen. Auch an der Frontlinie zwischen Russland und der Ukraine. Das scheint mir in der derzeitigen Situation ziemlich heikel."
Auch wenn die Umfragen etwas anderes sagen, Mélenchon rückt nicht davon ab: Sein Bündnis, sagt er, werde heute die Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung holen. Er fordert schon jetzt den Posten des Premierministers.
Wesentlich wahrscheinlicher allerdings ist es, dass das links-grüne Bündnis die stärkste Oppositionsfraktion stellen und damit traditionell den Vorsitz im Haushaltsausschuss haben wird. Das, gepaart mit der Angst die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zu verlieren, lässt Macron und die Mitglieder seines Parteienbündnisses derzeit nicht ruhig schlafen.