Verkehrskampagne in Frankreich "Fahren Sie wie eine Frau"
Männer sind die besseren Autofahrer: Dieses Klischee gibt es auch in Frankreich. Doch die Unfallstatistiken zeichnen ein anderes Bild. Eine Werbekampagne reagiert darauf und sorgt für viel Aufmerksamkeit.
Auf den Plakaten Männer, deren Gesichter man nur halb sieht. Jung, älter, mit oder ohne Bart: Sie halten das Lenkrad lässig fest, scheinen alles im Griff zu haben. Doch der Text schockiert: "93 Prozent der alkoholisierten, in einen Unfall verwickelten Autofahrer sind Männer. Wie eine Frau fahren, bedeutet einzig und allein: am Leben bleiben."
84 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle haben Männer zu verantworten, steht auf dem nächsten Plakat. Und neun von zehn getöteten jungen Autofahrern sind Männer, offenbart das dritte. Deshalb hat der Verein : "Victimes et citoyens" ("Opfer und Bürger") die Kampagne entwickelt.
Unfallopfer wollen sensibilisieren
Vereinschef Julien Thibault war als Beifahrer selbst Opfer eines schweren Verkehrsunfalls, weil der Fahrer die Geschwindigkeit weit überschritt. Er sagt: "Hören wir auf mit den Verkehrsverstößen. Dann haben wir weniger Unfälle und Verletzte auf der Straße."
Der Verein, in dem auch Juristen und Journalisten dabei sein, arbeitet mit Ministerien zusammen, engagiert sich in Frankreichs Verkehrssicherheitsrat und im europäischen Dachverband. Er schickt Unfallopfer und hinterbliebene Waisen in Bildungseinrichtungen, Fahrschulen und Unternehmen, um die Menschen für vorsichtiges Fahren zu sensibilisieren.
Ehrenamtliche gehen in Krankenhäuser, helfen und beantworten die Fragen der Unfallopfer: Wie geht es mit mir ohne Arme, ohne Beine, ohne mein Gedächtnis weiter? Wer puzzelt mein zersplittertes Leben wieder zusammen?
Noch immer viele frauenfeindliche Klischees
Der Nachrichtensender BFMTV war in Toulouse unterwegs. Dort fährt Julie seit fast 20 Jahren Auto. Er habe sich oft über Frauen am Steuer aufgeregt. Aber frauenfeindliche Klischees müssten längst überholt sein. "Man hat immer gesagt: 'Frau am Steuer, Tod in der Kurve.' Das denken vielleicht immer noch viele, aber ich nicht mehr", sagt er. "Frauen fahren einfach viel umsichtiger und kaspern nicht rum."
Den Spruch haben sich einer Internetumfrage zufolge noch vor wenigen Jahren vier von fünf Frauen anhören müssen. Nun findet die Frauenzeitschrift mit dem verrückt abgewandelten Fräulein-Namen "Madmoizelle" die Kampagne perfekt, weil sie mit Stereotypen aufräume.
Mehr Bewusstsein für Gefahrensituationen
Danièle ist schon seit über 30 Jahren am Steuer. Was sie regelmäßig an Kreuzungen erlebt? "Ich hab angehalten, um eine Person mit einem Handicap über die Straße zu lassen", erzählt sie. Der Autofahrer hinter ihr habe sie überholt. "Dabei war die Ampel auch noch Rot. Es war ein Mann."
So ein Verhalten beobachtet Fahrlehrer Jérôme mit seinen Schülern und Schülerinnen täglich. "Ich finde, die Mädchen geben sich doch etwas mehr Mühe als die Jungs, was die Sicherheit und das Bewusstsein für Gefahrensituationen beim Autofahren anbelangt", sagt er. "Die Jungs interessieren sich weniger dafür, was passieren kann."
Höheres Risiko für Männer im Straßenverkehr
Das Verhalten der Männer hat Folgen: Rund drei Viertel der Verkehrsunfalltoten und Schwerverletzten sind Männer und vier von fünf entzogenen Führerscheinen gehören Männern. Sie sind überrepräsentiert besonders bei Unfällen mit Motorrädern, aber auch mit Fahrrädern. Das Risiko für eine Frau, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, ist in Frankreich acht Mal geringer als das eines Mannes.
Die Beobachtungsstelle für Verkehrssicherheit meldet für 2023 über 3.400 Verkehrstote in Frankreich, etwas weniger als im Vorjahr, aber vom historischen Tiefstand mit unter 2.800 Verkehrstoten im Jahr 2020 ist man noch weit entfernt - damals eine Folge der Pandemie. Franzosen und Französinnen haben nun eine Idee davon, wie man sich dieser Zahl anders nähern kann: "Fahren Sie wie eine Frau!"