Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili im ARD-Interview.
interview

Georgische Präsidentin "Das ist schon eine russische Art zu herrschen"

Stand: 15.05.2024 20:36 Uhr

Georgiens Präsidentin Surabischwili kritisiert das in ihrem Land beschlossene NGO-Gesetz scharf. Im ARD-Interview sagt sie, das Volk werde sich "seine europäische Zukunft nicht rauben lassen" - und fordert eine klare Botschaft aus Brüssel.

ARD: Wie war und ist Ihre Reaktion auf das, was gestern passiert ist?

Salome Surabischwili: Nun, es ist das Ende einer Ära. Ich denke, dass ein Schlusspunkt gesetzt wurde hinter einer Entwicklung, die die herrschende Mehrheit selbst eingeleitet hatte: Von der Festschreibung in der Verfassung, dass die euro-atlantische Integration Priorität habe, bis zu dem hin, was wir gestern gesehen haben: Die Annahme eines russischen Gesetztes nach russischer Manier.

Die Lesung im Rechtsausschuss hat eine Minute und sieben Sekunden gedauert. Die dritten Lesung im Parlament, die den zwei vorherigen Lesungen glich, in der niemand eine abweichende Meinung äußerte: Das ist schon eine russische Art zu herrschen. Und ich denke, die Reaktion der Menschen, die wir in den letzten Monaten gesehen haben, ist der Tatsache geschuldet, dass wir nicht in die Vergangenheit zurückkehren wollen. Die Bevölkerung ist nicht gewillt, dass ihnen eine knappe Parlamentsmehrheit ihre europäische Zukunft raubt. Die Menschen werden alles Notwendige tun, damit ihnen eine europäische Zukunft offensteht.

ARD: Wenn Sie sich die Reden der Regierungspartei "Georgischer Traum" anhören, dann geht es ihr mit dem neuen Gesetz angeblich um Transparenz. Denken Sie, dass der "Georgische Traum" nicht die Wahrheit sagt, wenn es um das Gesetz geht?

Surabischwili: Ich denke, dass die Bevölkerung Georgiens im Vergleich zu einigen europäischen Ländern eine sehr lange Erfahrung mit Lügen eines totalitären Regimes hat. Was ist Propaganda? Wie wollen sie dich benutzen und missbrauchen?

80 bis 85 Prozent der Menschen hier wollen nach Europa. Nicht, weil sie alle wissen, worum es bei der Europäischen Union im Detail geht. Nein, sie verstehen, dass - wenn es keine europäische Gemeinschaft um uns herum gibt - die Unabhängigkeit Georgiens auf dem Spiel steht. Und ich möchte sagen, dass das Beispiel Ukraine noch einmal bekräftigt, warum wir in die EU kommen sollten und nicht außen vor bleiben in einer Grauzone. Darin sind wir vereint; darüber gibt es auch keine Diskussionen mehr.

Georgiens Staatspräsidentin Surabischwilli kritisiert pro-russische Parlamentsentscheidung

tagesschau24, 15.05.2024 19:00 Uhr

"Schlage europäischen Aktionsplan vor"

ARD: Aber was können Sie dafür tun, dass Georgien nicht in dieser Grauzone landet?

Surabischwili: Sehr viel. Zuallererst werde ich mein Veto einlegen, was eher eine politische Geste ist. Aber die Bevölkerung erwartet auch, dass ich für sie "Nein" sage zum russischen Gesetz. Das wird nichts ändern. Dann werden sie mein Veto überstimmen. Und dann fangen wir an, etwas anderes vorzubereiten. Und das andere, das wir vorbereiten, ist die Parlamentswahl am 26. Oktober, die zum Referendum für oder gegen Europa umgewandelt werden wird. Und ich bin zuversichtlich, dass sich die Einheit der Bevölkerung in den Wahlurnen finden wird; dass das georgische Volk erneut sagen wird, dass es seine europäische Zukunft will, damit sie dann durch verschiedene politische Kräfte zum Ausdruck kommt.

Und ich schlage einen europäischen, übergreifenden Aktionsplan vor, der der georgischen Bevölkerung etwas zeigen wird: Was sind die Maßnahmen, die von den Parteien ergriffen werden, die unter diesem Banner in das nächste Parlament kommen wollen? Wir sollten versuchen, diese Regierung, die aus welchem Grund auch immer zu einer russischen Regierung geworden ist, durch Wahlen zu ändern. Um uns dann wieder unserer europäischen Zukunft zuwenden können.

"Keine einfachen fünf Monate bis zur Wahl"

ARD: Georgien ist möglicherweise auf dem Weg, ein autoritärer Staat zu werden. Es wird viel über Morddrohungen am Telefon und über Verleumdungskampagnen gesprochen. Wie sehen Sie die Chance, dass es in Georgien überhaupt freie, faire Wahlen geben wird?

Surabischwili: Zuerst: Einschüchterungen, Druck, Repression - das ist nicht neu. Und das, was seit einem Monat auf den Straßen passiert, zeigt: Es geht schon in diese Richtung. Die Menschen ziehen sich dann mal ein wenig zurück, aber sie kommen zurück - und zwar noch zahlreicher. Wir brauchen daher die Aufmerksamkeit unserer europäischen Freunde. Es werden keine einfachen fünf Monate bis zur Wahl, aber wir werden es schaffen.

"Verlieren, was Europa uns zu bieten hat"

ARD: Ich denke, Sie haben eine klare Vorstellung davon, was Europa von Georgien erwartet. Aber ich denke, Georgien kann auch etwas von Europa erwarten, besonders nach den jüngsten Protesten. Es kamen viele Stellungnahmen aus Washington, aus London, sogar aus Berlin. Aber wenig aus Brüssel. Was sagen Sie dazu?  

Surabischwili: Nun, ich würde sagen, dass Brüssel aus 27 Ländern besteht, also wundert es mich nicht, dass es etwas länger dauert, eine gemeinsame Meinung zum Ausdruck zu bringen. Es gab eine Erklärung von EU-Ratspräsident Charles Michel, die die Richtung vorgibt, die noch nicht erreicht wurde - und zwar in Bezug auf eine Politik, die zum Ausdruck gebracht wurde.

Was ich Ihnen, unseren europäischen Partnern, sage, ist, dass wir eine klare Botschaft von der Europäischen Union brauchen - eine Botschaft, die die Unterstützung der georgischen Bevölkerung zum Ausdruck bringt, weil es die Bevölkerung ist, die ihren europäischen Standpunkt klar macht. Und ich würde sagen, es muss von den Europäern deutlich gemacht werden, und dass der Ausgang der Wahl die Reaktion der Europäischen Union bestimmen wird.

Ich wäre dagegen, dass entweder der Kandidatenstatus oder die Visa-Liberalisierung insgesamt jetzt als Geiseln genommen werden, weil es die Menschen sind, die als Geiseln genommen würden. Aber es muss klargestellt werden, dass genau das bei den Wahlen auf dem Spiel steht. Wenn die Menschen den anderen Weg wählen, werden sie verlieren, was Europa uns zu bieten hat. Wenn sie ihre europäische Zukunft wählen - und ich bin sicher, dass sie das bestätigen werden -, dann werden sie wieder den Europapass haben. Diese Klarheit der Botschaft ist also sehr wichtig.  

ARD: Was erwarten Sie von Deutschland?

Surabischwili: Kein anderes Land, das ich gut kenne, unterstützt dermaßen den Kandidatenstatus. Wir hoffen, dass diese Unterstützung fortgesetzt wird. Wir brauchen Präsenz.

Das Gespräch führten Norbert Hahn und Björn Blaschke, ARD Moskau, zzt. Tiflis.