Georgier feiern am 15. Dezember 2023 in der Hauptstadt Tiflis den EU-Kandidatenstatus ihres Landes

Regierung in Georgien Pro-europäisch oder Putin-hörig?

Stand: 04.04.2024 03:23 Uhr

Georgiens Regierung ist für den EU-Beitritt und will nun doch ein Gesetz über "ausländische Agenten" durchsetzen. Das bestätigt Gegner in dem Vorwurf, sie sei undemokratisch und pro-russisch. Doch was treibt die Regierung an?

Es war geradezu ein historischer Sieg: Mit einem 4:2 gegen Griechenland sicherte sich Georgien in der vergangenen Woche noch das Ticket für die Fußball-EM in Deutschland. Es wird die erste Teilnahme der Südkaukasusrepublik an einer Fußballeuropameisterschaft. Groß war der Jubel im Stadion in Tiflis und im gesamten Land - wenigstens beim Fußball darf sich Georgien als integraler Teil Europas fühlen. Das gelingt sonst noch beim Eurovision Song Contest und bei Filmfestivals.

Auf politischer Ebene dagegen driftet Georgien immer weiter ab. Lag Georgien unter den östlichen Nachbarstaaten der EU einst vorn im Annäherungsprozess, wurde es inzwischen von der Ukraine und Moldau überholt: Mit beiden Staaten eröffnete die EU 2023 Beitrittsverhandlungen. Georgien dagegen erhielt nur den Status als Beitrittskandidat und erhält immer wieder Mahnungen, die gestellten Bedingungen auch zu erfüllen. Die Regierungspartei "Georgischer Traum" vermittelt dabei ein widersprüchliches Bild. Sie nennt die EU-Mitgliedschaft als Ziel. Sie macht aber immer wieder Politik dagegen.

"Agenten ausländischer Einflussnahme"

Zum Beispiel kündigte sie nun zum zweiten Mal ein Gesetz an, demzufolge Organisationen angeben müssen, wenn sie Finanzierung aus dem Ausland erhalten. Vor einem Jahr hatte sie das Gesetz über "Ausländische Agenten" nach massiven Protesten zurückgezogen. Die Demonstranten hatten es mit Verweis auf ein ähnliches Gesetz in Russland als undemokratisch kritisiert.

Nun will die Regierungspartei es erneut in das Parlament einbringen. Lediglich die Bezeichnung "Agent ausländischer Einflussnahme" soll in "Organisation, die die Interessen einer ausländischen Macht vertritt" geändert werden. Das Gesetz wird auch unabhängige Wahlbeobachterorganisationen in Georgien betreffen, denen die Regierung vorwirft, sie hätten mit angeblich falschen Angaben zum Ergebnis der Parlamentswahl 2020 eine "Revolution" anzetteln wollen.

Die Ankündigung der Regierungspartei ging sogleich durch die Sozialen Medien - ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl ist mit neuen Protesten zu rechnen, weil die Sorge vor Wahlmanipulationen steigt und letztlich auch, weil das Gesetz die Chancen Georgiens auf den nächsten Schritt zum EU-Beitritt weiter verschlechtert.

Ein anderes Beispiel ist die Politik gegenüber Russland. So hielt sich die Regierungspartei lange mit klaren Aussagen zum Krieg Russlands gegen die Ukraine zurück, dabei kontrollieren russische Truppen zwei abtrünnige Gebiete Georgiens. Sie schloss sich auch nicht den Sanktionen gegen Russland an, die die europäischen Staaten seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 verhängt haben.

Alles für den Machterhalt

Das bringt der Regierung immer wieder den Vorwurf ein, pro-russisch zu sein. Eine Erklärung für das widersprüchliche Handeln gibt Giorgi Gacharia im Gespräch mit tagesschau.de. Er war bis 2021 Premier und vorher Innenminister in der Regierung des "Georgischen Traums": Die Regierungspartei sei nicht pro-russisch, so Gacharia. "Sie ist nicht einmal pro-georgisch. Sie steht nur für sich selbst und tut alles, um an der Macht zu bleiben."

Das Zielstellung der EU-Mitgliedschaft lässt sich damit erklären, dass seit Jahren eine klare Mehrheit der Bevölkerung einen Beitritt befürwortet, ebenso einen NATO-Mitgliedschaft. Die mit einer EU-Integration einhergehenden Forderungen nach Reformen will die Regierungspartei aber nur insoweit erfüllen, als dass diese den Machterhalt nicht gefährden.

Das zeigen Änderungen am Wahlgesetz, die der "Georgische Traum" bereits durch das Parlament gebracht hat. Diese erlauben es der Regierungspartei, die entscheidenden Positionen der Zentralen Wahlkommission zu besetzen, die wiederum über die Abstimmungsergebnisse wacht.

Profiteure in Georgien?

Kritik aus der EU an solchen Entscheidungen weist die Regierungspartei als "unfair" und als angeblich absichtliche "Benachteiligung des georgischen Volkes" zurück. Außerdem behaupten Politiker wie Premierminister Irakli Kobachidse, "ernstzunehmende Kräfte" wollten eine "zweite Front" gegen Russland eröffnen und Georgien in den Krieg hineinziehen.

Mit diesem Vorwurf verband Kobachidse auch Fragen danach, ob Georgien Transitland für die Umgehung der Sanktionen gegen Russland ist. Experten verweisen dazu auf erheblich gestiegene Exporte nach Georgien. Vor einem Jahr nahm das Land zudem wieder Direktflüge mit Russland auf. Zu den Profiteuren zählt die georgische Airline "Georgian Airways", die inzwischen Transitflüge in beliebte europäische Urlaubsorte anbietet.

Zudem gibt es Hinweise, dass sich einzelne Akteure mit Russland einlassen. So verhängte die US-Regierung im September 2023 Sanktionen gegen einen georgischen Ex-Generalstaatsanwalt, weil er mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB kooperiert haben soll mit dem Ziel, die Stimmung in Georgien zu beeinflussen. Lokale Medien beschreiben ihn als Vertrauten des Ehrenvorsitzenden der Regierungspartei, Bidsina Iwanischwili, was dieser allerdings zurückweist.

Der schwerreiche Geschäftsmann Iwanischwili hatte 2011 den "Georgischen Traum" gegründet, um den damaligen Präsidenten Michail Saakaschwili mit seiner Partei "Vereinte Nationale Bewegung" von der Macht zu verdrängen. Sein Vermögen hat Iwanischwili in Russland gemacht. Seine Gegner halten ihn für Putin-hörig.

Korrumpierbarkeit als Sicherheitsrisiko

Gacharia folgt dieser Argumentation nicht. Vielmehr hält er die Regierung für korrumpierbar und machtbesessen, was sie allerdings zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko für Georgien mache. Denn mit dieser Partei sei es ein Leichtes für Russland, die Parlamentswahl im Herbst zu beeinflussen. Russland hätte auch kein Problem damit, wenn Georgien EU-Mitglied wäre - dann hätte man noch ein williges Land innerhalb der EU, so Gacharia.

Er war 2021 als Premier zurückgetreten - im Streit mit seinen Parteigenossen um den Umgang mit einem hochrangigen Oppositionspolitiker. Die liberale Opposition wiederum kreidet ihm bis heute an, dass er 2019 einen Polizeieinsatz anordnete, der zur gewalttätigen Auflösung einer Demonstration führte. Nun will er bei der Parlamentswahl mit seiner eigenen Partei "Für Georgien" antreten und glaubt, gute Chancen zu haben: Er und seine Mitstreiter verfügten über Regierungserfahrung. Sie seien aber weder der Regierungspartei, noch der größten Oppositionspartei "Vereinte Nationale Bewegung" zugehörig.

Der Konflikt zwischen diesen beiden Parteien dominierte die Politik in den vergangenen Jahren - ohne dass sich das Leben der Menschen grundlegend verbesserte. Allerdings schneiden alle anderen Parteien in Umfragen deutlich schlechter ab. Es ist fraglich, ob sie die Fünf-Prozent-Hürde für den Eintritt ins Parlament schaffen.

Mangels Perspektiven suchten bereits Hunderttausende in den vergangenen Jahren anderswo ein Auskommen. Georgien zählt in Deutschland zu den Ländern mit den meisten Asylbewerbern trotz einer verschwindend geringen Anerkennungsquote. Inzwischen beklagen Unternehmer einen Arbeitskräftemangel, dies vor allem im Tourismussektor, der auch dank europäischer Besucher in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt hat.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 03. April 2024 um 17:00 Uhr in den Nachrichten.