Ex-Präsident Saakaschwili Ein Leben am seidenen Faden
Der Gesundheitszustand von Georgiens Ex-Präsident Saakaschwili ist ein Politikum. Nach einem Jahr Haft ist er ein Schatten seiner selbst, wie sich nun vor Gericht zeigte. Der Umgang mit ihm spielt auch eine Rolle für Georgiens EU-Integration.
Das Gesicht eingefallen, Haarsträhnen in der Stirn, graue Bartstoppeln am Kinn, die Augen kaum geöffnet. Georgiens ehemaliger Präsident Michail Saakaschwili hat physisch und mental massiv abgebaut, er wirkt kaum ansprechbar.
Kein Vergleich zu seinem Auftritt im September 2021 bei einer Veranstaltung von Diaspora-Georgiern in Hamburg. Es war einer seiner letzten öffentlichen Auftritte, bevor er nach Georgien zurückkehrte. Dort wurde er aufgrund einer Verurteilung wegen Machtmissbrauchs sogleich festgenommen. Er sitzt seitdem in Haft.
Nun war er erstmals seit längerer Zeit wieder beim Gerichtsprozess präsent, bei dem es um weitere Vorwürfe gegen ihn geht - zugeschaltet aus einem Krankenhaus, wo er seit Mai wegen seines Gesundheitszustandes untergebracht ist. Seine Anwälte beantragten die Aussetzung seiner Haftstrafe, damit er im Ausland behandelt werden kann.
Angehörige und Unterstützer sehen in ihm einen politischen Häftling. Sie erheben den Vorwurf, er werde vergiftet. Sein Leben sei in Gefahr. Ein US-Experte stellte eine erhöhte Konzentration an Schwermetallen in seinem Körper fest.
Persönlichkeiten aus dem Ausland fordern ebenfalls seine Verlegung aus Georgien. Unter ihnen ist der Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenskij. Saakaschwili hatte die ukrainische Staatsbürgerschaft angenommen und formal die georgische verloren, damit er 2015 Gouverneur der Region Odessa werden konnte.
Entwürdigende Bilder
Die Vorwürfe richten sich an die Regierungspartei "Georgischer Traum". Hinter ihr steht der schwer vermögende Geschäftsmann Bidsina Iwanischwili. In der nunmehr dritten Amtszeit der Partei besetzen seine Vertrauten alle wichtigen Posten im Staat. In mehreren Fällen handelt es sich um frühere Mitarbeiter von Iwanischwilis Unternehmen. Die Justiz steht nach vorherrschender Meinung im Land unter der Kontrolle eines "Richter-Clans", der mit der Regierungspartei im Bunde sei.
Vertreter der Regierungspartei werfen Saakaschwili vor, zu simulieren und die Kooperation mit der Justiz zu verweigern. Als Beweis veröffentlichten die Gefängnisverwaltung, das Justizministerium und regierungstreue Medien am 14. Dezember ein Video, das Saakaschwili an mehreren Tagen von Oktober bis Dezember zeigt. Sichtbar wird jedoch, dass er gesundheitlich zunehmend abbaute.
Die entwürdigenden Bilder sorgten für Empörung auch bei jenen, die Saakaschwili aufgrund seiner autoritären Politik als Präsident ablehnend gegenüberstehen. Viele hatten bezweifelt, dass er so schwer erkrankt ist, wie seine Anwälte immer wieder erklärten.
Persönliche Fehde
Die Bilder aus dem Gerichtssaal sorgen nun neuerlich für Bestürzung, war Saakaschwili doch lange als hyperaktiver und dynamischer Politiker allgegenwärtig. Am Mittwoch wurde er 55 Jahre alt. Die Befürchtung ist nun, dass Iwanischwili in seiner Rivalität zum ehemaligen Präsidenten zu weit gehen könnte.
Seit der Geschäftsmann 2012 den "Georgischen Traum" in den Wahlkampf führte, vermittelt er den Eindruck, in einer persönlichen Fehde mit Saakaschwili und dessen Partei "Vereinte Nationale Bewegung" zu stehen. Mehrere Mitstreiter Saakaschwilis wurden in Gerichtsprozessen zu Haftstrafen verurteilt, die auch international als politisch motiviert kritisiert wurden.
Mit seinem politischen Einfluss und seinem Vermögen, das Schätzungen des US-Magazins "Forbes" zufolge etwa bei einem Drittel des georgischen Bruttoinlandsprodukts liegt, verfügt Iwanischwili über so viel Macht wie niemand sonst in Georgien. Statt aber wie versprochen mit fähigen Politikern und Beamten das Land voran zu bringen, setzt er vor allem auf Loyalität und persönliche Abhängigkeiten.
Unternehmer und Korruptionsexperten berichten vom Zuschanzen von Aufträgen und Stimmenkauf. Iwanischwili selbst soll sich erst kürzlich ein Stück staatlichen Waldes gesichert haben. Zugleich beschreiben ehemalige Regierungsmitglieder, dass sich niemand traue, wichtige Entscheidungen selbst zu treffen. Man warte immer auf eine Reaktion Iwanischwilis.
Auf Abwegen
Für den Machterhalt sind Iwanischwili und seine Mitstreiter auch bereit, die EU-Integration Georgiens aufs Spiel zu setzen. Zwar halten sie an ihrem Vorhaben fest, 2024 den Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen zu wollen - sie entsprechen damit dem Willen einer Mehrheit der Bevölkerung. Doch halten sie sich nicht an die Forderungen der EU nach Einhaltung und Durchsetzung demokratischer Standards etwa bei der Wahlgesetzgebung und der Unabhängigkeit der Justiz.
Deshalb wurde Georgien, anders als Moldau und der Ukraine, dieses Jahr nicht der EU-Kandidatenstatus gewährt. Die EU-Kommission nannte zwölf Bedingungen, damit Georgien im nächsten Jahr zu den beiden anderen aufschließen kann. Dazu zählt eine Justizreform, die Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörde sowie eine "Entoligarchisierung".
Der Umgang mit Ex-Präsident Saakaschwili wird in Brüssel genau beobachtet. Das Europaparlament verabschiedete vergangene Woche eine Resolution zu Georgien. Darin heißt es auch, die Behörden trügen die volle Verantwortung für Saakaschwilis Gesundheit. Ihm solle eine Behandlung im Ausland ermöglicht werden.
Zahlreiche Abgeordnete wie die Grünen-Politikerin Viola von Cramon fordern, die Gewährung des EU-Kandidatenstatus auch vom Umgang mit Saakaschwili abhängig zu machen. Es gehe bei ihm wie bei allen anderen Strafgefangenen um grundlegende Menschenrechte. Es sei "absolut dringlich", für Saakaschwilis Gesundheit zu sorgen.
Während der mehrstündigen Sitzung traf das Gericht keine Entscheidung über eine Aussetzung der Haft. Es vertagte sich auf den 29. Dezember.