Arbeiter beladen ein Schiff mit Getreide im Hafen von Ismajil in der Ukraine.

Getreideabkommen läuft aus Ukraine will weiterhin Getreide liefern

Stand: 17.07.2023 18:32 Uhr

Russlands Ausstieg aus dem Getreideabkommen hat international für empörte Reaktionen gesorgt. Die Ukraine kündigte derweil eine Fortsetzung der Lieferungen übers Schwarze Meer an - auch ohne Sicherheitsgarantien.

Der Getreidedeal wurde vor knapp einem Jahr ausgehandelt und sollte sicherstellen, dass Agrargüter sicher über das Schwarze Meer verschifft werden können. Nach zwei Verlängerungen hat Russland nun seinen Ausstieg aus dem Abkommen verkündet - am Abend läuft es damit offziell aus. Die Ukraine will nun ohne die russischen Sicherheitsgarantien weitermachen. Das kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Angaben seines Pressesprechers an.

"Sogar ohne Russland muss man alles tun, damit wir diesen Schwarzmeerkorridor nutzen können", sagte Selenskyj vor afrikanischen Journalisten laut einer Mitteilung bei Facebook.

Schiffseigner seien bereit, ukrainische Häfen für Getreidelieferungen anzulaufen. Das Abkommen zwischen der Ukraine, der Türkei und den Vereinten Nationen sei auch ohne Moskau weiter in Kraft. Lediglich das davon getrennte zwischen Russland, der Türkei und den UN sei aufgekündigt worden. Wie die Schiffe und deren Güter in dem Kriegsgebiet versichert werden sollen, sagte Selenskyj nicht.

Russland will Abkommen über Export ukrainischen Getreides vorerst nicht verlängern

Mathea Schülke, WDR, tagesschau, 17.07.2023 20:00 Uhr

Tausende Tonnen Getreide aus der Ukraine

Bislang wurden im Rahmen der Initiative laut den UN mehr als 32 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Waren aus der Ukraine in 45 Länder exportiert. Mehr als 1000 Schiffe hätten ukrainische Häfen verlassen. In den vergangenen Monaten ging die exportierte Menge an Agrargütern zurück. Die Ukraine warf Russland vor, die vereinbarten Inspektionen zu verzögern.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO betonte, dass die Initiative die Weltmarktpreise für Lebensmittel senke und zum Kampf gegen den Hunger beitrage. Auch das UN-Welternährungsprogramm WFP konnte mithilfe des Abkommens 725.000 Tonnen Weizen in Krisenländer wie Afghanistan oder Somalia bringen. Die Initiative hatte zudem eine politische Dimension: Sie galt als die einzige längerfristige Übereinkunft zwischen den Kriegsparteien Russland und Ukraine.

Deutschland fordert Fortsetzung des Abkommens

Deutschland forderte Russland zur Verlängerung des Abkommens auf. Die Bundesregierung appelliere "weiterhin an Russland (...), eine weitere Verlängerung des Getreideabkommens möglich zu machen und diese Auseinandersetzung nicht auf dem Rücken der Ärmsten dieses Planeten auszutragen", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin.

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verlangte, das Getreideabkommen sofort wieder in Kraft zu setzen. An den russischen Präsidenten Wladimir Putin gerichtet forderte sie bei einem Besuch in New York "im Sinne des Friedens in der Welt", Hunger nicht als Waffe einzusetzen. Der Ausstieg aus dem Abkommen mache deutlich, dass Putin weltweit auf die Schwächsten keine Rücksicht nehme. Baerbock plädierte dafür, weiter an anderen Lieferrouten zu arbeiten, unabhängig vom Seeweg, "gerade über die Europäische Union", damit "das Getreide in die Welt kommt".

Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz am Rande eines EU-Treffens im Brüssel. Dass Russland den Getreidedeal nicht verlängern wolle, sei "eine schlechte Botschaft". "Und für ein Land, das mit einer solchen Aggression sein Nachbarland überfallen hat, ist das auch eine schlechte Botschaft an die übrige Welt", erklärte Scholz weiter.

UN-Chef: "Rettungsleine für globale Ernährungssicherheit"

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich tief enttäuscht. Das Abkommen sei eine "Rettungsleine für die globale Ernährungssicherheit und ein Leuchtturm der Hoffnung in einer aufgewühlten Welt" gewesen, sagte Guterres vor Journalisten in New York. "Man hat die Wahl, an solchen Abkommen teilzunehmen. Aber leidende Menschen überall und Entwicklungsländer haben keine Wahl."

"Die Sorge bei den UN vor neuen Hungersnöten ist sehr groß", so Marion Schmickler, ARD New York, über das Aussetzen des Getreideabkommens

tagesthemen

Guterres hatte Putin in der vergangenen Woche noch einen Brief mit Vorschlägen geschrieben, um das Abkommen zu retten. "Ich bin zutiefst enttäuscht, dass meine Vorschläge unbeachtet blieben", sagte er dazu. Trotzdem würden sich die Vereinten Nationen weiter in dieser Hinsicht einsetzen, sagte Guterres weiter. "Unser Ziel muss es bleiben, die Ernährungssicherheit und die globale Preisstabilität voranzutreiben."

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, bezeichnete das russische Vorgehen als "Akt der Grausamkeit". "Während Russland politische Spiele spielt, werden echte Menschen leiden", sagte sie zu Journalisten.

Engpässe in arabischen Ländern, Afrika und Asien erwartet

Die Auswirkungen des geplatzten Deals sind derzeit noch nicht absehbar. Befürchtet werden aber steigende Preise und Versorgungsengpässe.

Der Deutsche Bauernverband sieht nach dem vorläufigen Stopp des Abkommens für ukrainische Getreideexporte über das Schwarze Meer vorerst keine Engpässe auf dem deutschen und europäischen Markt. Der stellvertretende Generalsekretär Udo Hemmerling sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Sollte es eine längere Unterbrechung der Schwarzmeerroute für Getreide, Ölsaaten und Düngemittel geben, könnte es erneut zu Versorgungsengpässen und Preissteigerungen im globalen Agrarhandel kommen." Das gehe vor allem zu Lasten von Importeuren von Brotgetreide in arabischen Ländern, Afrika und Asien. "In Mitteleuropa ist hingegen nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen, da hier die eigene Ernte zur Verfügung steht."

Russland sieht Zusagen nicht erfüllt

Am Morgen hatte der Kreml hatte das Getreideabkommen "de facto" für beendet erklärt. Die Russland betreffenden Teile des Abkommens seien nicht erfüllt worden, sagte der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow in Moskau. Man werde es aber wieder in Kraft setzen, sobald die russischen Bedingungen erfüllt seien. Im Kern geht es dabei um westliche Sanktionen, die aus russischer Sicht verhindern, dass Zahlungen für russische Agrarexporte abgewickelt werden können. Moskau hatte bereits seit mehreren Wochen damit gedroht, das Abkommen auslaufen zu lassen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte weitere Gespräche mit Putin an. Eine Verlängerung des Abkommens könne noch vor dem für August geplanten Besuch des russischen Präsidenten in der Türkei möglich sein, sagte er weiter. Verhandlungen diesbezüglich seien bereits im Gange.

Abkommen kam im Juli 2022 zustande

Russland hatte nach Beginn seines Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 die Seeausfuhren des Nachbarlandes blockiert. Im Juli 2022 einigten sich die Ukraine, Russland und die Türkei als Parteien in Istanbul auf die Schwarzmeer-Getreide-Initiative. Die UN traten als Vermittler auf. Die Vereinbarung wurde mehrmals verlängert. Eine zweite Vereinbarung kam in Istanbul zwischen den Vereinten Nationen und Russland zustande.

In einem „Memorandum of Understanding“ willigten die UN ein, sich für die ungehinderte Ausfuhr russischer Lebensmittel und Düngemittel auf die Weltmärkte einzusetzen. Russland beklagte immer wieder die mangelnde Umsetzung des Memorandums. Die Regierung Putin verlangte etwa, dass Russlands Landwirtschaftsbank wieder an das internationale Zahlungssystem SWIFT angeschlossen werden solle.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. Juli 2023 um 15:00 Uhr.