Asylpolitik und Menschenrechte Großbritannien will das letzte Wort haben
Vor einer Woche stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen britischen Abschiebeflug nach Ruanda. Die Regierung in London will solche Einmischungen künftig verhindern - mit Hilfe eines entsprechenden Gesetzes.
Die britische Regierung will den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht mehr als letzte Instanz in Menschenrechtsfragen akzeptieren. Das machte Justizminister Dominic Raab im Parlament in London deutlich, als er einen entsprechenden Gesetzentwurf vorstellte.
Das als Bill of Rights bezeichnete Gesetz werde sicherstellen, dass der britische Supreme Court bei diesen Belangen künftig das letzte Wort habe, sagte Raab im Unterhaus. Zudem solle das geplante Gesetz dafür sorgen, dass einstweilige Verfügungen der Straßburger Richter in Großbritannien nicht mehr bindend seien.
Ziel sei es, die britische Tradition der Freiheit zu stärken und dem System "eine gute Dosis gesunden Menschenverstands" einzuhauchen. Die Behörden würden in die Lage versetzt, "mehr ausländische Kriminelle auszuweisen und die Öffentlichkeit besser vor gefährlichen Kriminellen zu schützen", sagte Raab vor der Sitzung dem Sender Sky News.
London sprach von Einmischung
In der vergangenen Woche hatte eine Entscheidung des Straßburger Gerichts den umstrittenen Plan Großbritanniens blockiert, Asylsuchende verschiedener Nationalitäten per Flieger nach Ruanda zu schicken, wo sie stattdessen einen Asylantrag stellen sollten. Die Richter entschieden, dass die britische Justiz die Rechtmäßigkeit der Abschiebungen noch im Detail prüfen muss.
Die britische Regierung reagierte erbost und sprach von einer "politisch motivierten" Entscheidung. Die Darstellung, die Entscheidung des europäischen Gerichts habe eine politische Dimension, passt in Londons Darstellung einer Bedrohung der britischen Souveränität durch europäische Institutionen. Unter den neuen Regeln sollen britische Gerichte das letzte Wort in solchen Fällen haben.
Kein vollständiger Rückzug
Allerdings gehört der EGMR nicht zur Europäischen Union, aus der Großbritannien ausgetreten ist. Stattdessen ist er das Justizorgan des Europarats, wo auch Großbritannien bislang weiterhin Mitglied ist. Vor dem Gerichtshof können wegen des Verdachts auf Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention Klagen gegen alle 46 Mitgliedsstaaten eingereicht werden.
Einen Austritt aus der Menschenrechtskonvention, wie ihn zuletzt Russland vollzogen hat, lehnt Großbritannien bislang ab. Justizminister Raab will daran festhalten, aber die Umsetzung der Konvention und den Umgang mit entsprechenden Urteilen verändern.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg ist kein Organ der Europäischen Union. Hinter dem EGMR steht der Europarat. Dort sind auch Staaten Mitglied, die nicht in der EU sind - beispielsweise die Türkei oder das Vereinigte Königreich. Aus diesem Grund kann der EGMR auch für diese Länder verbindliche Entscheidung treffen. Inhaltlich prüfen die Straßburger Richterinnen und Richter, ob die jeweiligen staatlichen Maßnahmen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar sind.
Üblicherweise ist der Weg zum EGMR erst dann eröffnet, wenn auf nationaler Ebene der Rechtsweg ausgeschöpft ist, also kein Rechtsmittel im Land mehr möglich ist. In besonders eilbedürftigen Fällen kann Straßburg aber auch im Eilverfahren vorläufige Entscheidungen treffen. Zumeist geht es in diesen Fällen inhaltlich um drohende Abschiebungen. In der Vergangenheit waren pro Jahr 100 bis 200 solcher Eilanträge erfolgreich.
Von Christoph Kehlbach und Maximilian Bauer, ARD-Rechtsredaktion
Scharfe Kritik von Juristen
Die oppositionelle Labour-Partei sowie Menschenrechtsorganisationen zeigten sich alarmiert. Der Plan sei ein "riesiger Rückschritt für die Rechte der einfachen Menschen", kritisierte Amnesty International UK.
Auch die Juristenvereinigung Law Society kritisierte das Gesetzesvorhaben. Dieses führe dazu, dass einige Menschenrechtsverletzungen in Großbritannien akzeptabel würden, sagte die Präsidentin Stephanie Boyce der BBC zufolge. Außerdem verleihe es dem Staat größere Macht über seine Bürger - eine Macht, die dann alle künftigen Regierungen hätten, unabhängig von ihren Zielen und Werten.