Großbritanniens Energieproblem Veraltete Heizungen, undichte Fenster
Ein großer Teil der britischen CO2-Emissionen geht auf schlecht isolierte Wohnungen mit veralteten Heizsystemen zurück. Jedes Jahr sterben Menschen an den Folgen unterkühlter Wohnungen. Doch die Energieoffensive der Regierung greift vielen zu kurz.
Eine kleine Gruppe Demonstrierender sitzt vor dem Innenministerium in London. Zwei Fernsehteams sind da - und die Polizei. Das reicht ihnen an Aufmerksamkeit: "Es muss aufhören mit den Tausenden Toten jedes Jahr", ruft eine Frau ins Mikrofon. "Es kann nicht sein, dass sich im 21. Jahrhundert Menschen zwischen Essen und Heizen entscheiden müssen." Seit Wochen blockieren sie fast täglich Straßen und Autobahnen, kleben sich auf dem Asphalt fest. "Insulate Britain" - "Isoliert Britannien" steht auf ihren Plakaten. Sie demonstrieren für eine bessere Wärmedämmung.
Mehr als 8000 Menschen erfrieren in Großbritannien jeden Winter an den Folgen unterkühlter Wohnungen. Das Klischee von schlechten Fenstern und Dauerdurchzug ist für viele bitterkalte Realität. Fast 40 Prozent der Häuser wurden vor 1946 gebaut - und sind dementsprechend schlecht isoliert.
Mangelnde Regierungsinitiativen, auch bedingt durch die Bauindustrie-Lobby, haben in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass sich daran nicht viel ändert.
Große Wirkung mit geringem Einsatz: Die Aktivisten von "Insulate Britain" blockieren immer wieder Straßen und Autobahnen in Großbritannien.
Gaspreise verschlimmern "Energie-Armut"
Das Resultat sind hohe Heizkosten und weitverbreitete "Fuel Poverty" - also Energie-Armut -, bei der Menschen einen Großteil ihres Einkommens für Heizkosten ausgeben müssen. Die aktuellen Rekordpreise für Benzin und Gas verschlimmern die Lage.
Muhammad Ansar Mustaquim spürt das täglich. Er arbeitet als Rechtsberater im Osten Londons. "Die Menschen leiden", sagt er. Immer mehr Klienten suchten bei ihm Rat, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen könnten.
Großer Renovierungsstau
Ansar lebt selbst in einem schlecht isolierten Reihenhaus, zahlt viel für Elektrizität und Gas. Dabei hätte sein Haus eigentlich vor zehn Jahren saniert werden sollen. Damals regierte die Labour-Partei und startete ein Sanierungsprogramm für Wohnhäuser.
Ansars Nachbar Saif Muhammad war der erste in seiner Straße. Seit der Isolierung hätten sich seine Rechnungen halbiert, sagt Saif. Im gesamten Vorjahr habe er die Heizung vielleicht fünf Mal angeschaltet.
Aber so vielversprechend das Programm begann, so schnell wurde es auch wieder beendet: 2010 kam die Konservative Partei an die Macht und strich nach und nach das Geld.
Das Problem wärmedurchlässiger Fenster betrifft Häuser allen Typs in Großbritannien - für die ärmere Bevölkerung ist es existenzbedrohend.
Schlechte Isolierung führt zu hohen Emissionen
Das frustriert den Architekten Justin Bere, der damals Saifs Haus saniert hat. Er will, dass die Regierung das Thema wieder priorisiert: "Es geht nicht nur um die Leute von heute, sondern auch um die Zukunft der Menschen und das Klima, in dem sie leben werden."
Denn der hohe Energieverbrauch schadet der Umwelt. Emissionen aus Wohnhäusern haben 2019 etwa 17 Prozent aller Treibhausgase in Großbritannien ausgemacht.
Die Protestbewegung "Insulate Britain" fordert deshalb von der Regierung, alle Sozialwohnungen bis 2025 zu isolieren sowie jedes Wohnhaus bis 2030 energieeffizient zu machen.
"Eigentlich ist das eine Win-Win-Situation", sagt Bing Jones, der wegen seiner Proteste für "Insulate Britain" schon mehrere Nächte im Gefängnis saß. Bessere Isolierung würde die CO2 Emissionen verringern und Arbeitsplätze schaffen. "Es ist fahrlässig, dass die Regierung Programme hierzu abgebrochen hat", sagt Bing.
"Undicht, ineffizient, Geldverschwendung"
Kurz vor dem UN-Klimagipfel in Glasgow wollen die Protestbewegung den Druck auf Premierminister Boris Johnson erhöhen. Der veröffentlichte kürzlich seine Netto-Null-Strategie, mit der das Vereinigte Königreich bis 2050 klimaneutral werden soll.
Ein Element hob Johnson besonders hervor: Finanzierungshilfen für umweltfreundliche Wärmepumpen, die alte Gasboiler ersetzen sollen. Die Zuschüsse reichen für 90.000 Wärmepumpen. Gasboiler gibt es allerdings in rund 25 Millionen Häusern.
Außerdem funktionieren Wärmepumpen nicht gut in Häusern, die schlecht isoliert sind. Die Grünen-Politikerin Caroline Lucas schrieb auf Twitter, das sei wie eine Teekanne mit Löchern zu kaufen: "Undicht, ineffizient, Geldverschwendung".
Diesen Winter, befürchtet die Charity National Energy Action, könnte ein Fünftel aller Mieter von Energie-Armut betroffen sein. Und Experten warnen, dass die angekündigten Regierungsprogramme längst nicht ausreichen werden, um die Klimaziele Großbritanniens zu realisieren.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, dass jedes Jahr 8000 Menschen in Großbritannien in ihren Wohnungen erfrieren. Tatsächlich sterben sie an den Folgen unterkühlter Wohnungen. Wir haben den Text entsprechend korrigiert und hoffen auf Ihr Verständnis.