Antisemit, aber nie verurteilt Frankreich streitet über Imam-Abschiebung
Der Fall des Imams Iquioussen erhitzt die Gemüter in Frankreich: Er gilt als Antisemit und Frauenfeind, doch straffällig ist er noch nie geworden. Trotzdem soll er laut Gerichtsbeschluss nun abgeschoben werden. Zurecht?
Hassan Iquioussen ist ein einflussreicher Imam, geboren und aufgewachsen in Frankreich. Aber er hat nicht die französische Staatsbürgerschaft, sondern nur die marokkanische. Der 58-Jährige lebt in Lourches im Norden Frankreichs und betreibt einen ziemlich erfolgreichen Youtube-Kanal, auf dem er regelmäßig seine Sicht zu religiösen Fragen veröffentlicht.
Schon seit mehr als zehn Jahren sind darunter auch antisemitische, frauenfeindliche und homophobe Äußerungen. Der Imam soll der Muslimbruderschaft nahe stehen. Seit mehr als einem Jahr wird er von den französischen Behörden als Gefährder eingestuft. Deshalb soll er nun abgeschoben werden.
"Ein Sieg für die Republik"
Ein Gericht stoppte das zunächst, weil es die Abschiebung für einen unangemessen harten Eingriff in sein Privatleben hielt - der Mann hat fünf erwachsene Söhne und 15 Enkel, alle leben in Frankreich.
Für die Richter am obersten Verwaltungsgericht war das hingegen kein ausreichender Grund: Sie erlaubten die Abschiebung, zur großen Zufriedenheit des französischen Innenministers Gerard Darmanin: "Wir hatten dem Gericht Belege präsentiert, dass Herrn Iquioussens Verhalten und seine Äußerungen den Werten der Republik widersprechen. Und das Urteil heute ist ein großer Sieg für die Republik." Aber ist es wirklich ein Sieg für die Republik?
Gefährlich oder nur schwer erträglich? Frankreich diskutiert über den Imam Hassan Iquioussen, hier im Jahr 2004.
Gefährlich oder nur schwer erträglich?
Darüber wird in Frankreich nun heftig gestritten. Zwar gibt es kaum jemanden, der den Imam selbst und seine Äußerungen verteidigt. Aber die Frage ist: Kann man jemanden abschieben, der nicht nur sehr lange in Frankreich lebt, sondern auch bislang kein einziges Mal straffällig geworden ist?
Denn der Imam wurde für keine seiner Äußerungen angeklagt, geschweige denn verurteilt. Manuel Bompard, linker Politiker bei La France Insoumise, hält das für ein großes Problem. Im Fernsehsender France Info betonte er: "Diese Entscheidung zur Abschiebung wirft Fragen auf. Nicht wegen der Äußerungen, die sind ohne Frage verurteilenswert. Homophobe und antisemitische Äußerungen sind in unserer Gesellschaft inakzeptabel."
Doch sie sollten in Frankreich angeklagt und verurteilt werden, sagt Bompard. "Und auf der Basis eines Urteils kann man dann entscheiden, den Aufenthaltstitel nicht zu verlängern. Aber diese Dinge müssen eben der Reihe nach geschehen."
Doch nicht alle im linken Lager sehen das so. Nicht wenige sind da inhaltlich eher bei den konservativeren Politikern, die sagen: Der Staat muss sich wehren und - wann immer es möglich ist - solche radikalen Menschen schnell abschieben.
Gericht hält Iquioussen für gefährlich
Dass es sich bei Iquioussen um einen radikalen Islamisten handelt, hat zuletzt auch das oberste französische Verwaltungsgericht so gesehen: Seine antisemitischen Äußerungen seien Anstiftung zu Diskriminierung und Hass, heißt es in der Entscheidung der Richter. Das gelte auch für seine Äußerungen darüber, dass Frauen Männern unterlegen und untergeordnet seien. Dass er manches später zurückgezogen oder relativiert hat, spielte für die Richter keine Rolle. Sie halten ihn für gefährlich und deshalb eine Abschiebung für richtig.
Auch Marie Lebec, Fraktionsvize des Macron-Lagers im französischen Parlament, unterstützt eine Abschiebung des Mannes. Im Sender BFMTV sagte sie, das Gericht habe klargestellt, "dass der Staat das Recht habe, ihm wichtige Werte auch zu verteidigen. Die Gleichheit von Mann und Frau, die sexuelle Freiheit, die Religionsfreiheit."
Der Imam ist verschwunden
Ob und wie die Abschiebung des Imams stattfinden wird, ist aber noch völlig unklar. Denn als die Behörden am Dienstagabend zu seinem Haus fuhren, war er nicht zu Hause. Ob er sich an einem unbekannten Ort in Frankreich aufhält oder ins Ausland, zum Beispiel ins nahe Belgien, geflohen ist, weiß derzeit niemand. Und auch die längerfristigen Folgen der Debatte sind kaum absehbar: Selbst wenn die Abschiebung gelingt, seinen Youtube-Kanal könnte der Imam auch aus Marokko weiter betreiben.
Die Angelegenheit könnte zu einem Präzedenzfall für die französische Innenpolitik werden. Gut denkbar, dass Islamisten in Frankreich künftig schneller abgeschoben werden.