Faschismus-Gedenken in Italien "Ein Zufall der Geschichte"
Giorgia Meloni ist neue Ministerpräsidentin Italiens geworden - fast auf den Tag genau 100 Jahre nach der Machtergreifung Mussolinis. Faschismus-Gegner mobilisieren nun zum Jahrestag des "Marsches auf Rom" zu Protesten.
Es sind in Italien üblicherweise die Tage der Mussolini-Nostalgiker, der Alt- und Neofaschisten. Ende Oktober kommen sie seit Jahrzehnten zusammen, um an Benito Mussolini und die Machtergreifung der Faschisten 1922 zu erinnern.
Hauptort der jährlichen Mussolini-Verehrung ist Predappio in der Emilia-Romagna, der Geburtsort des faschistischen Diktators. Stets kommen mehrere Hundert, meist über tausend Teilnehmer. Sie rufen dann "Kamerad Mussolini - anwesend!", einige heben den Arm zum Hitlergruß.
Antifaschistische Demo im Symbolort der Faschisten
In diesem Jahr wollen demokratische Parteien, Gewerkschaften und Verbände dem etwas entgegensetzen - auch in Predappio. Die Partisanenvereinigung ANPI organisiert am Jahrestag von Mussolinis sogenanntem Marsch auf Rom eine antifaschistische Demonstration im Symbolort der Faschisten. In Predappio soll erinnert werden an die Alliierten und die italienischen Partisanen, die ebenfalls an einem Tag Ende Oktober den Ort befreit haben.
Dies sei eine Kundgebung gegen Mussolini-Nostalgie, sagt der örtliche ANPI-Vorsitzende, Miro Gori. Aber auch eine Botschaft Richtung Rom, wo jetzt Giorgia Meloni regiert, mit einer Partei, die neofaschistischen Wurzeln hat. Man wolle zeigen, sagt Gori, dass es "im Land Kräfte gibt - Verbände, Gewerkschaften und andere Gruppen der Zivilgesellschaft -, die die Demokratie garantieren". Sie würden darüber wachen, "dass diese zweifellos demokratisch gewählte Regierung nun regiert im vollen Respekt der Verfassung, die antifaschistisch ist."
Gori, der aus einer Familie von Partisanen stammt, nennt die ersten Personalentscheidungen der Wahlsiegerin Meloni bedenklich. Unter anderem verweist er darauf, dass Ignazio La Russa Senatspräsident geworden ist - ein Mann, der stolz darauf ist, dass in seinem Wohnzimmer eine Mussolini-Statue steht.
Expertin: Geschichte des Faschismus ungenügend aufgearbeitet
Vor einer Verharmlosung Mussolinis und des Faschismus warnt Giulia Albanese, Professorin in Padua und führende Faschismusforscherin Italiens. Das faschistische Regime, sagt sie, sei "eine Diktatur, ein totalitäres Regime gewesen, das die italienische Gesellschaft kontrolliert, und nach und nach alle Gegner vom Schutz der Gesellschaft ausgeschlossen, sie verfolgt hat". Parallel, sagt die Faschismusexpertin, habe es auch "ein Projekt der Herrschaft auf europäischer und internationaler Ebene konstruiert". Mit dem Aufstieg auch der Nationalsozialisten an die Macht sei dies sichtbar geworden.
Nicht nur in Italien, in ganz Europa, kritisiert Albanese, sei die Geschichte des Faschismus ungenügend aufgearbeitet - deutlich weniger als die des Nationalsozialismus. Zur aktuellen politischen Entwicklung in Italien, dazu, dass Giorgia Meloni just zum 100. Jahrestag des "Marsches auf Rom" die Regierung übernimmt, meint die Geschichtsprofessorin: "Das macht schon einen gewissen Eindruck. Aber es ist ein Zufall der Geschichte". Ein Zufall, meint Albanese, der vielleicht die Italienerinnen und Italiener dazu bringe, sensibler zu sein und zu reagieren, "wenn das Handeln der Politik Anlass zur Besorgnis gibt."
Aufmarsch der Alt- und Neofaschisten
Demo-Organisator Miro Gori hofft, dass zum Jahrestag der faschistischen Machtergreifung möglichst viele im Mussolini-Geburtsort für Demokratie und Rechtsstaat auf die Straße gehen. Keine Unterstützung für die Demonstration kommt vom Bürgermeister Predappios, einem Mann der Meloni-Partei Brüder Italiens. Er hat es abgelehnt, die Schirmherrschaft der Veranstaltung zu übernehmen. Ein bedenkliches Signal, findet Gori: "Aus unserer Sicht hat der Bürgermeister zweifellos einen Fehler gemacht". Normalerweise würde die Schirmherrschaft problemlos übernommen "bei Demonstrationen dieser Art, die friedlich, demokratisch und antifaschistisch sind".
Zwei Tage nach der Demonstration der Faschismus-Gegner wollen in Predappio auch Alt- und Neofaschisten aufmarschieren. Am Sonntag planen sie, wie jedes Jahr rund um den Jahrestag der faschistischen Machtergreifung, einen Marsch zum Grab Mussolinis auf dem örtlichen Friedhof.
Ob und in welcher Weise sich Giorgia Meloni zum 100. Jahrestag des "Marsches auf Rom" äußert, ist noch nicht bekannt. Die Demokratische Partei, größte Oppositionskraft im Parlament, hat aufgerufen, sich in Rom am Denkmal für Giacomo Matteotti zu versammeln - zur Erinnerung an den sozialistischen Parlamentsgeordneten, der zu Beginn des Mussolini-Regimes von Faschisten erschossen wurde.