100 Tage nach Regierungsübernahme Meloni ist kein Schreckgespenst mehr
Die Rechtspopulistin Meloni regiert seit 100 Tagen in Italien. Entgegen der Befürchtungen in der EU zeigt sie sich kooperativ und zurückhaltend - wohl auch aus wirtschaftlichem Interesse.
Vor gut 100 Tagen schien es in Brüssel noch völlig klar zu sein, was da mit Giorgia Meloni und der neuen italienischen Regierung auf Europa zu kommt. Nichts Gutes jedenfalls - da war man sich im Großen und Ganzen einig. Was könne man schon erwarten von einer Partei, deren Wurzeln im Faschismus zu finden sind und deren Chefin sich davon nie wirklich distanziert habe, hieß es.
Und: Jetzt gebe es einen weiteren und viel größeren Mitgliedsstaat der EU, der die europäischen Institutionen am liebsten abgeschafft sehen würde. Die Grüne Europaparlamentarierin Alexandra Geese, die selbst lange in Italien gelebt hat, drückte das so aus: "Ihr Vorbild ist Orban, der Ungarn von einer Demokratie in eine Autokratie verwandelt hat - und von daher kann man schon erkennen, dass uns in Italien jetzt nichts Gutes bevorsteht."
Eine klare Bewertung war das. Dahinter stand die Befürchtung, dass aus Rom jetzt neue Versuche kommen würden, den europäischen Rechtsstaat zu schwächen und die Gemeinschaft der 27 Staaten auseinanderzutreiben. Hinzu kam die Sorge, dass Italien mit seiner massiven Staatsverschuldung von über 130 Prozent der Wirtschaftsleistung den gesamten Binnenmarkt in eine gefährliche Schieflage bringen könnte, weil die Regierung Meloni alle Haushaltsregeln ignorieren würde, was am Ende wieder die finanziell soliden Euro-Staaten ausbügeln müssten.
Es brauche deshalb klare Signale, sagte der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber warnend Richtung Rom:
Ein klares europäisches Signal, ein klares Signal, dass die Stabilitätspolitik von Mario Draghi fortgesetzt werden soll. Ohne diese Signale wird Italien in eine Abwärtsspirale rutschen.
Draghi galt als verlässlich
In Brüssel schätzte man die Verlässlichkeit des früheren italienischen Regierungschefs und Ex-EZB-Präsidenten Draghi. Mit ihm war Italien zurück im Kreis derer, die Europa nicht nur wollten, sondern voranbringen wollten, auch als global einflussreichen Machtblock. Mit Meloni würde das alles vorbei sein.
Doch es war die neue italienische Regierungschefin selbst, die sich beeilte, diesem Eindruck in Brüssel von Anfang an entgegenzutreten. Nach ihrem Antrittsbesuch in Brüssel sagte sie, sie habe einige Probleme angesprochen, die bewältigt werden müssten.
Wir sind keine Außerirdischen, sondern Menschen. Wir konnten unsere Positionen erklären. Und mir scheint, auf der anderen Seite waren Menschen, die uns zugehört haben.
Regierung kooperativ bis zurückhaltend
Und auch danach kamen aus Rom keine nennenswerten anti-europäischen Querschüsse. Melonis Regierung gibt sich zurückhaltend bis kooperativ. Dies liegt zum einen daran, dass Italien der größte Empfänger von Milliarden aus dem Corona-Fonds der EU ist und zum anderen daran, dass man in Rom europäische Unterstützung bei der ungelösten Migrationsfrage haben will. Nach wie vor ist Italien das Land, das für viele Tausend Flüchtlinge das erste Ziel ist, die nach Europa wollen.
Und es ist ausgerechnet, der bisher als zurückhaltend und vorsichtig geltende Partei- und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei – also der Christdemokraten im Europaparlament - Manfred Weber von der CSU, der in den vergangenen Wochen hier ganz offen die Zusammenarbeit mit der italienischen Regierung sucht und: das Gespräch mit Meloni:
Italien verdient, dass die anderen Italien unterstützen. Das ist das, was ich verlange. Und das gehört zur Europäischen Politik. Wir sollten die Europäische Zusammenarbeit nicht aufhalten, sondern: Wir sollten sie verstärken.
Weber und Meloni wird ein durchaus herzliches Verhältnis nachgesagt - kein Wort jedenfalls mehr von den gefährlichen Postfaschisten an der Regierung dort. Im Gegenteil: Weber, so heißt es, baue im Europaparlament bereits an einem Bündnis mit Melonis Fratelli d’Italia. Schließlich kommt es für die EVP darauf an, ihre starke Position dort nach den Wahlen im Frühjahr nächsten Jahres irgendwie zu halten.
Im Zweifel offenbar auch mit einem politischen Partner, von dem man bis vor kurzem lieber noch die Finger gelassen hätte. Aber die Zeiten ändern sich - und Italien scheint ja trotz allem doch auf einem pro-europäischen Kurs zu sein, irgendwie - auch mit Meloni. Und - wie Jeromin Zettelmayer, Ökonom vom Brüssler Bruegel-Think-Tank sagt - am Ende aus purem Eigennutz: "Es ist schwer vorstellbar in einer Situation, in der die wirtschaftliche Lage ohnehin sehr prekär ist, noch Risiken einzugehen."
Meloni braucht Brüssel
Genau so macht es Meloni. Sie braucht Brüssel und auch die Milliarden von dort und geht keine Risiken ein. Ob Weber ebenfalls keine Risiken eingeht, indem er eine politische Kooperation der Christdemokraten im Europaparlament mit Melonis Partei anstrebt, das gilt in Brüssel als eine ganz andere Frage.