Wahrscheinlicher neuer NATO-Chef "Hallo, ich bin Mark!"
Nun hat auch Rumänien seine Blockade gegen Mark Rutte als neuen NATO-Generalsekretär aufgegeben. Damit dürfte der Niederländer das Amt ab Oktober von Jens Stoltenberg übernehmen. Wer ist der wohl kommende NATO-Chef?
Auf diesen Moment hat er lange hingearbeitet. Hartnäckig, aber unauffällig: Mark Rutte ist es wichtig, dass alle hinter ihm stehen, auf die es ankommt. Und auch die nicht zurückgelassen werden, die mit seiner typischen Art Politik zu machen, nämlich mit einer jovialen Freundlichkeit, die - nach seinen eigenen Worten - immer verbindlich, berechenbar und verlässlich sein müsse, auch gegenüber jenen, die damit nichts anfangen können.
"Hallo, ich bin Mark!" - so stellt sich Mark Rutte den Leuten oft vor, die nicht genau wissen, wo sie den Niederländer hinstecken sollen und wie sie ihn einzuschätzen haben. In seiner Umgebung sind viele immer wieder überrascht, was er sich alles merkt. Kleinigkeiten - zum Beispiel, wenn jemand Geburtstag hat. Rutte legt Wert darauf, als "menschlicher Politiker" und nicht als Machtmensch wahrgenommen zu werden. Das hilft ihm dabei, seinen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, auch wenn sie die besseren Argumente haben.
Jetzt steht Rutte da, wo er sich selbst seit einiger Zeit schon sieht. An der Schwelle zum NATO-Chef. Diejenigen, die es auch schon längst so gesehen haben, hatte er anfangs freundlich abgebürstet. Wie einen hartnäckigen britischen Reporter bei einem EU-Gipfel im vergangenen November: Er sei "aus dem Rennen", erklärte Rutte damals in kalkulierter Mehrdeutigkeit, um gleich darauf zu erklären, dass er ja noch Regierungschef sei und hier noch viel zu tun habe. Zu dieser Zeit steckten die Niederlande in einer Regierungskrise, die er selbst scheinbar aus heiterem Himmel ausgelöst hatte.
Unmöglich, sich mit ihm zu streiten
Im Sommer 2023 hatte der erfolgreiche Langzeit-Regierungschef, der sich als "sozialliberal" einordnet, nach 13 Jahren und drei gewonnenen Wahlen überraschend die Koalition unter Führung seiner liberalen Partei aufgekündigt. Der Anlass - scheinbar banal für die Machtproben gewohnten Niederländer: Rutte wollte das Asylrecht verschärfen, aber nicht alle in der Koalition zogen mit. Dass da jemand in stiller Hartnäckigkeit an ganz anderen Plänen arbeitet, aber nicht mit der Tür ins Haus fallen will, wurde erst nach einigen Wochen klar.
Übel nimmt ihm das kaum jemand. Mitschüler erinnern sich im niederländischen Fernsehen NOS, dass "der Mark", Jahrgang 67, immer so gelassen und freundlich war. Unmöglich, sich mit ihm zu streiten. Was auch Donald Trump bemerkt haben dürfte, der bei einem Rutte-Besuch in Washington unbeholfen und oberflächlich die angeblich "guten" Beziehungen zur EU lobte. "Nein - die Beziehungen sind nicht gut", grätschte Rutte dazwischen. Dann lachte er laut und brachte Trump aus dem Konzept. Die Szene ging viral, nach dem Motto: Der traut sich was.
Sein EU-Hauptgegner Victor Orban aus Ungarn hatte von Ruttes Freundlichkeitsoffensiven zumindest bei den Brüsseler Gipfeln nichts abbekommen - er wisse gar nicht, warum er ihn immer so angreifen würde. Ihm die NATO-Karriere zu verbauen, dazu war am Ende auch Orban zu schwach. Rutte ist äußerst beliebt in den Niederlanden. Noch als Regierungschef gab er ehrenamtlich Politikunterricht an einer Hauptschule in Den Haag.
Und erklärte den Kindern dann auch die NATO als Bündnis, in dem man sich gegenseitig versprochen hat, sich militärisch und politisch zu helfen. Bei den Schülern müsse er sich kurz und klar ausdrücken - wie auf den EU-Gipfeln "mit fünf Minuten Redezeit für jeden. Manche reden viel länger, ich nicht", lobte sich Rutte selbst, wohl um zu zeigen, dass er Dinge auf den Punkt bringen kann.
Sein Privatleben ist tabu
Mark Rutte - mal auf dem Fahrrad in der Stadt oder im alten Gebrauchtwagen, mal in engen Jeans und mit Hoodie, mal im taubenblauen Anzug: immer dynamisch, jungenhaft und ein bisschen geheimnisvoll. Das Privatleben - tabu. Bekannt ist nur, dass er sehr an seiner Mutter hing, die vor vier Jahren starb, dass er alleine lebt, meditiert, Ski fährt, Klavier spielt, Thomas Mann liest, lange keinen Computer zu Hause hatte und nur ein Uralt-Handy besitzt.
Rutte war der Jüngste in einer großen Familie, studierte Geschichte, arbeitete lange in der Personalabteilung eines Großkonzerns, bevor er ganz in die Politik ging. Und es dort nach ganz oben schaffte: "Man schafft es nur gemeinsam als Team, man braucht Optimismus, und man muss sich mächtig ins Zeug legen und für seine Sache werben", so erklärte es Rutte einmal bei einem Deutschlandbesuch: Um dann mit einem alten niederländischen Sprichwort abzuschließen: "Vertrauen kommt im langsamen Schritt, aber schwindet im Galopp."
Auf ihn warten gewaltige Herausforderungen
Vertrauen zu gewinnen wird in seinem neuen Amt wichtig sein, denn die Herausforderungen sind gewaltig. Rutte will mit der NATO der Ukraine mehr beistehen gegen Russland. Für ihn persönlich schwingt die Erfahrung aus dem Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 am 17. Juli 2014 in der Anfangsphase des Krieges mit. Die Maschine wurde von einer russischen Luftabwehrrakete getroffen. Alle 298 Insassen, darunter 80 Kinder, vor allem Niederländer, die Urlaub machen wollten, starben. Für das Verbrechen wurde ein russischer Geheimdienstoberst von einem Gericht in den Niederlanden in Abwesenheit mit zwei weiteren Angeklagten 2022 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Mit Rutte soll die NATO besser gewappnet werden gegen Putins mögliche Pläne, auch einen NATO-Bündnisstaat anzugreifen. Und dann ist da noch Donald Trump. Falls er noch einmal ins Weiße Haus einzieht, könnte das bedeuten, dass sich die NATO langfristig auf ein Bündnis ohne die USA einstellen muss.