Republik Moldau "Wir wissen einfach nicht, was wird"
Die Republik Moldau ringt um Stabilität. Russlands Krieg gegen die Ukraine schürt Ängste, zugleich belasten hohe Energiepreise die Bevölkerung massiv. Pläne für die Zukunft machen - dazu sehen sich viele nicht in der Lage.
Der Zug schleicht durch den Abend, ein Uraltmodell, unterwegs Richtung Westen von Moldaus Hauptstadt Chisinau nach Ungheni. Für manche Pendler wie die Arbeiterinnen Elena, Valentina und Maria ist es ein mühsamer Weg. Jeden Morgen fahren sie gegen 5.30 Uhr los, kommen gegen 19.30 Uhr nach Hause - bei einem Verdienst von umgerechnet 200 Euro im Monat.
Es sei einfach alles so teuer geworden, beschreibt Valentina Moraru ihre Lage, für Brot, Öl oder Fleisch müsse sie inzwischen teilweise das Fünffache des gewohnten Preises hinlegen.
Das macht auch Elena Dragoi zu schaffen. "Unser Gehalt ist so klein", erzählt sie. Zwar verspreche man ständig Lohnerhöhungen, aber wann die kommen, wisse sie nicht.
Wichtigster Wirtschaftsfaktor: die Auslands-Moldauer
Moldau, das kleine Land im toten Winkel Südosteuropas, gehört zu den ärmsten des Kontinents. Die Republik entstand 1991 aus den Trümmern der Sowjetunion.
Gerade einmal 2,6 Millionen Menschen leben noch hier. Mehr als eine Million Moldauer sollen das Land in den letzten Jahren verlassen haben, in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen.
Sie sind zum wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden, weil sie Geld in ihre alte Heimat schicken. Die, die aber geblieben sind, ächzen unter galoppierender Inflation, steigenden Energiepreisen. Und der Angst, dass der Krieg in der Ukraine auch zu ihnen kommen könnte.
Was der Krieg in der Nachbarschaft bedeutet
Nie hätte sie gedacht, sagt Tatiana Sarbu, "dass es in unserer Zeit einen Krieg geben könnte."
Für Dragoș Scutelnicu bedeutet das, dass er "nicht mal Pläne für morgen oder übermorgen machen" könne:
Wir denken darüber nach, was am Abend passieren könnte, ob wir noch leben oder losrennen oder ob die Mobilisierung beginnt. Wir wissen einfach nicht, was wird.
Instabilität im Innern
Moldau erlebt gerade turbulente Zeiten: Die Regierung mit Premierministerin Natalia Gavrilita ist vergangene Woche zurückgetreten. Der frühere Innenminister Dorin Recean ist nun mit der Neubildung beauftragt.
Und seit Monaten gibt es immer wieder Hinweise über gezielte russische Einflussnahme. Am Montag informiert die prowestlich orientierte Präsidentin Maia Sandu über Geheimdienstberichte, wonach Russland einen Umsturzversuch plane. Vergangene Woche hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beim EU-Gipfel in Brüssel erklärt, sein Land habe Pläne Russlands abgefangen, die Republik Moldau unter russische Kontrolle zu bringen.
In Moldau ist man alarmiert, auch weil in der abtrünnigen Region Transnistrien noch immer etwa 1500 russische Soldaten stationiert sind. Das befürchtete Szenario: Eine moskaufreundliche Regierung in Moldau könnte Russland neue strategische Möglichkeiten eröffnen und den Druck auf den Süden der Ukraine erheblich erhöhen.
Die Sorgen der westlichen Partner
Das sorgt auch die westlichen Partner der Ukraine und der Republik Moldau. Denn der prowestliche Kurs von Präsidentin Sandu ist im Land umstritten, auch weil russlandfreundliche Kräfte die Kritik an ihr schüren.
Die westlichen Partner versuchen, das Land mit Finanzhilfen zu stabilisieren. Zuletzt gab es im November auf einer Geberkonferenz in Paris weitere Hilfszusagen für die kleine Republik. Im Sommer hatte die EU sie zum Beitrittskandidaten gemacht - auch das ein Versprechen auf die Zukunft.
Der Krieg überschreitet die Grenzen
Doch vorerst ist Krieg, ganz in der Nähe. Die 68-jährige Olga Zhereblovskya ereilten die Auswirkungen vor der eigenen Haustür. Im Nordosten Moldaus, in Naslavcea direkt an der Grenze zur Ukraine, kamen im vergangenen Jahr Trümmerteile einer russischen Rakete herunter, die die ukrainische Luftabwehr abgeschossen hatte:
"Wirklich beängstigend" sei die Explosion gewesen, erzählt Zhereblovskya, "ich dachte, das war's jetzt, das ist das Ende der Welt".
Mehrfach hat Russland den Luftraum Moldaus verletzt. Zuletzt am vergangenen Freitag, als eine Rakete nahe der ukrainischen Grenze aufgetaucht sein soll. Nach Angaben des Außenministeriums wurde deshalb der russische Botschafter in der Hauptstadt Chisinau einbestellt.
Wohin, wenn die Kämpfe Moldau erreichen?
Als Pendlerin Elena am Abend zu Hause angekommen ist, wird erst einmal geheizt - mit Holz. Die Stromkosten fressen ihr Einkommen. 40 Euro sind es inzwischen monatlich, ein Fünftel ihres Einkommens.
Doch was sie an diesem Abend am meisten beschäftigt, ist die Angst vor der Zukunft. Denn wo, fragt Elena, solle sie denn hin, wenn der Krieg nach Moldau kommt - es warte ja niemand auf sie.
Umso mehr hofften sie und ihre Mitpendlerinnen auf Frieden, wie die meisten Menschen in Moldau. Mit selbstgemachten Wein stoßen sie darauf an. Bevor dann morgen früh wieder ihr Zug Richtung Chisinau rollt.